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ALBRECHT-VON HALLER

 
     
  ALBRECHT-VON HALLER und die Medizin des 18.Jahrhunderts. Lebensdaten:1708 - 1777. Der Schweizer Arzt, Physiologe, Botaniker und Schriftsteller Albrecht von Haller war der wichtigste Mediziner des 18. Jahrhunderts. Von ISAAC NEWTON beeinflußt, ließ er sich bei seinen Forschungen vom Experiment leiten. Die medizinischen Konzepte der Reizbarkeit und Sensibilität gehen auf ihn zurück, weshalb er auch manchmal als Begründer der Neurologie gilt. Daß sich darin, wie er meinte, Gott manifestiere, war für ihn aber keineswegs ein Dogma, sondern lediglich ein Grundsatz, der noch bewiesen werden mußte. Reizbarkeit gilt auch heute noch, neben dem Stoffwechsel, dem Wachstum und der Fortpflanzung, als eines der wesentlichen Lebensmerkmale; Nervenzellen werden manchmal noch immer als »Reizgewebe« bezeichnet. Hallers Vielseitigkeit und Produktivität sind legendär er verfaßte etwa zwölftausend Abhandlungen, ist bekannt für seine philosophische Lyrik, seine Staatsromane und sein berühmtes Gedicht Die Alpen, in dem er ein pastorales Bild der Schweizer Bergwelt entwirft. Albrecht Haller wurde am 16. Oktober 1707 in Bern geboren. Seine beiden Eltern Nildaus Emanuel Haller und Irina Maria Engel starben, als er noch relativ jung war. Er vuchs im bescheidenen Haushalt seiner Stiefmutter auf, galt als schwächliches, frühreifes Kind, das bereits mit acht Jahren gelehrte Abhandlungen schrieb und mit zehn ein altgriechisches Wörterbuch schuf. 1724 begann er an der Universität Tübingen mit dem Medizinstudium, ein Jahr später ging er nach Leiden, wo er unter dem bekanntesten (und wahrscheinlich reichsten) Mediziner seiner Zeit, Hermann Boerhaave, studierte. Boerhaave, der Patienten aus ganz Europa empfing, übte auf Haller großen Einfluß aus. 1727 schloß er seine medizinische Ausbildung ab. Hallers frühe Arbeiten zeugen von der enzyklopädischen Bandbreite seiner Interessen. Da die Anatomie als Lehrfach an den Universitäten nur ungenügend behandelt worden war, reiste er nach Frankreich und England, wo er an Operationen und Sektionen teilnehmen konnte. In Basel nahm er bei Johann Bernoulli Unterricht in Mathematik, fand aber auch Zeit, sich seinen botanischen Interessen zu widmen; er wanderte in den Alpen umher, legte eine beeindruckende Sammlung Schweizer Flora an und fand hier die Eindrücke, die er zu seinem Gedicht Die Alpen verarbeitete. Von 1729 bis 1736 praktizierte er in Bern und erwarb sich durch seine botanischen und anatomischen Kenntnisse einiges Ansehen - weswegen ihm 1736 an der Universität Göttingen der Lehrstuhl für Medizin, Anatomie, Chirurgie und Botanik angeboten wurde. Die kurz zuvor gegründete Universität, unbelastet durch die Tradition, bot Haller in den nächsten siebzehn Jahren die Gelegenheit, einige seiner bedeutendsten Forschungen durchzuführen und eine renommierte Medizinerschule aufzubauen. 1747 veröffentlichte er Primae lineae physiologiae, das Boerhaaves berühmtes Institutiones medicae als medizinisches Standardwerk ablöste. Es gilt als das erste physiologische und medizinische Lehrbuch und wurde von Haller im Laufe der Zeit zweimal überarbeitet. 1753 verließ er Göttingen und kehrte nach Bern zurück. Fünf Jahre arbeitete er dort als Staatsbeamter und übernahm die Leitung der Berner Salzwerke - ein unerwarteter Einschnitt in seiner Karriere, der auf seine schwache Gesundheit, Arbeitsüberlastung und Differenzen mit seinen Kollegen zurückzuführen war. Er behielt jedoch den Vorsitz in der Göttinger Akademie und korrespondierte mit den Größen seines Faches. 1753 erschien der erste Band von Hallers Hauptwerk Elementa physiologiae corporis humani (Elemente der menschlichen Physiologie). Sieben weitere Bände kamen in den nächsten fünfundzwanzig Jahren hinzu, die eine Zusammenfassung seiner anatomischen und physiologischen Kenntnisse dar-- stellen. Haller liefert darin Beschreibungen aller bekannten Körperorgane, weist auf frühere Forscher hin und versucht, aufbauend auf Newtonische Vorstellungen, die Körperfunktionen zu erklären. »Wer eine Physiologie schreibt«, macht er deutlich, »muß die inneren Bewegungen des belebten Körpers erklären, die Wirkungsweise der Organe, den Austausch der Körperflüssigkeiten und der Kräfte, durch die das Leben aufrechterhalten wird.« Indem er zeigte, daß die verschiedenen Nervenfasern und Muskelstränge ganz bestimmte Aufgaben erfüllen, entwarf er das Konzept der Reizbarkeit. Während WILLIAM HARVEY den Blutkreislauf erklärte, legte Haller dar, daß das Herz nicht einfach ein sich selbst regulierender Mechanismus ist. Er glaubte, daß die für den regelmäßigen Herzschlag verantwortlichen Herzmuskeln durch das Blut stimuliert werden, das in die Herzkammern strömt. Davon ausgehend wies er nach, daß die Funktionsweise aller Körperteile von Reizen abhängig ist, wobei er bei der Muskelkontraktion mechanische und chemische Prozesse am Werk sah. Haller erkannte nicht, welche Rolle die Nerven spielen, allerdings begründete sein Hang, durch Experimente zu Antworten zu gelangen, seinen Ruf als Schöpfer der Neurophysiologie. Er isolierte die Organe, die er untersuchen wollte, und übte darauf eine Reihe von Reizen aus. Waren Reaktionen festzustellen, bezeichnete er die Teile als sensibel oder »reizbar«. Physiologie, schrieb er in einem berühmten Satz, sei »belebte Anatomie«. Es soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, Haller wäre ein Mechanist gewesen, dem es lediglich auf einfache Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge ankam. Vielmehr zielte er auf ein umfassendes Verständnis der einzigartigen Vorgänge innerhalb der »Tiermechanik« ab; »Reizbarkeit« war dabei eine be-sondere Eigenschaft von tierischen Körpern, die nicht auf bloße Kinetik reduziert werden konnte. Obwohl Haller dem Gedankengut der Aufklärung nahestand, hielt er zu den bekannten französischen Philosophen Abstand. Nicht weit von ihm entfernt, am anderen Ende des Genfer Sees, lebte Voltaire, der wie kein anderer den freiheitlichen Geist jener Zeit verkörperte. Haller selbst war Pietist, »erzkonservativ«, wie Henry Sigerist schreibt, »dem es an jeglichen Sinn für Humor mangelte ... Er dachte wie ein Rationalist, in seinem Glauben aber war er ein aufrechter Christ.« Wie Newton glaubte auch Haller, daß die Bewegungsgesetze von Gott der Welt eingepflanzt worden seien. Und so widmete ihm der brillante (und vergessene) hedonistische Philosoph Julian Offray de la Mettrie sein subversives Werk Der Mensch eine Maschine - eine bibliographische Bösartigkeit ersten Ranges. Zu einem für das 18. Jahrhundert so eminent wichtigen Thema wie die Embryologie konnte Haller natürlich nicht schweigen. Mit Caspar Friedrich Wolff, der der epigenetischen Entwicklungstheorie nahestand, führte er eine lange Debatte. Epigenetiker glaubten, daß sich das Küken aus dem befruchteten Ei entwickelt, während Haller und die Präformationisten der Meinung waren, das Sperma stimuliere nur das Ei, welches bereits das fertig entwickelte Küken en miniature enthalte, das sich nur noch zu entfalten brauche. Haller begegnete Wolffs kartesianischen, rationalistischen Ansatz mit Mißtrauen und sah darin eine Bedrohung für seine religiösen Überzeugungen. Die Debatte kam damals zu keiner Lösung. Hallers ungeheurer Einfluß trug jedoch entscheidend dazu bei, daß die Präformationstheorie noch auf Jahre hinaus die dominierende Theorie darstellte. Hallers Position war hier in Einklang mit seinen grundlegenden Ansichten zur Wissenschaft, schreibt Shirley Roe, »deren Aufgabe es (seiner Meinung nach) war, zu einem tieferen Verständnis und Verehrung von Gott zu führen, weg von den Gefahren des Atheismus und Materialismus.« Haller war insgesamt dreimal verheiratet und hatte acht Kinder, war aber eine schwierige und exzentrische Persönlichkeit. Nachdem Gott ihm seine erste Frau fortgenommen hatte, wurde er als überzeugter Zwinglianer von religiösen Zweifeln geplagt. Er litt an Sehschwäche, Blasenproblemen Melancholie und Schlaflosigkeit (die er mit Opium zu kurie: ren versuchte). Im hohen Alter wurde er fettleibig und bekam die Gicht. Noch ein Jahr vor seinem Tod, 1776, veröffentlichte er eine umfangreiche medizinische Bibliographie, die zweiundfünfzigtausend Werke aufführte und dennoch unvollständig blieb. Er starb am 12. Dezember 1777.  
 

 

 

 
 
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