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FREDERICK SANGER

 
     
  FREDERICK SANGER und der genetische Code. geb.1918. Grundlage der genetischen Forschung - deren größte Aufgabe mittlerweile die Kartographierung des menschlichen Genoms mit seinen 100 000 Genen und drei Milliarden Basenpaaren darstellt - ist die Arbeit des britischen Biochemikers Frederick Sanger. Seine Bedeutung basiert auf zwei Entdeckungen, die für die Molekularbiologie absolut entscheidend waren. 1954 war Sanger der erste, dem es gelang, die vollständige Anordnung der Aminosäuren im Insulin zu beschreiben. Später wandte er sich dem Studiumder DNS selbst zu und entwickelte Methoden zur Entzifferung langer Nukleotidsequenzen, auf denen der genetische Code eingeschrieben ist. Sie waren der Schlüssel für eine Reihe von technischen Durchbrüchen mit enormen Folgen für die medizinische und biologische Forschung. »Dadurch«, schreibt Christopher Wills, »schuf Sanger vielleicht mehr als jeder andere die Voraussetzungen für das Humane Genome Project und die gegenwärtigen aufsehenerregenden Entwicklungen in der menschlichen Genetik.« Sanger wurde zweimal der Nobelpreis verliehen, und seine zentrale Rolle in der komplexen Entwicklung der Molekularbiologie hatte sich in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als bestätigt. Frederick Sanger wurde am 13. August 1918 in Rendcomb, Gloucestershire, als Sohn eines Arztes gleichen Namens und Cicely Crewdson Sanger geboren. Er wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf, war an der Bryanston School ein durchschnittlicher Schüler und besuchte ab 1936 das St. John's College in Cambridge, wo auch sein Vater studiert hatte. Ursprünglich an Medizin interessiert, begann er sich bald dem damals noch relativ neuen Fach der Biochemie zuzuwenden. »Die Vorstellung«, sagte er später, »die Biologie durch chemische Begriffe zu erklären, hatte etwas Aufregendes.« 1939 schloß er das Studium ab, 1943 promovierte er über Lysin, eine der Aminosäuren. Als Quäker war er während des Zweiten Weltkriegs vom Militärdienst befreit, und von 1944 bis 1951 arbeitete er im Rahmen eines medizinischen Forschungsstipendiums in Cambridge. Als Sanger zur Biochemie stieß, begannen sich die Unklarheiten, die fast ein halbes Jahrhundert die Disziplin bestimmt hatten, zu lichten. Man begann die vielfältigen Verbindungen in der Zelle zu klassifizieren und zu verstehen, die von EMIL FISCHER postulierte »Schloß- und Schlüsselbeziehung« zwischen Enzym und Substrat wurde nachgewiesen und man wußte, daß Enzyme Proteine sind, die spezifische Funktionen erfüllen und aus Aminosäuren bestehen. Immer deutlicher zeichnete sich ab, daß alle Proteine aus Aminosäuren aufgebaut sind. Im Labor von A. c Chibnall in Cambridge, in dem Sanger arbeitete, befaßte man sich intensiv mit Insulin, einem der einfacher gestalteten Proteine. Insulin ist ein in den Zellen der Bauchspeicheldrüse gebildetes Hormon. Es hat die wichtige Aufgabe, Kohlenwasserstoffe in den einfachen Zucker Glucose umzuwandeln und damit den Zuckerspiegel des Bluts zu regulieren. Ist nicht genügend Insulin im Körper vorhanden, stirbt der Mensch an Diabetes. Frederick Bantin und Charles Best machten 1922 eine der berühmtesten Entdeckungen in der Medizingeschichte, als sie einem diabeteskranken jungen Mann reines Insulin verabreichten. In den folgenden zwei Jahrzehnten wurde Insulin in kristalliner Form hergestellt und ihre verschiedenen Aminosäuren wurden identifiziert. An diesem Punkt setzte Sanger mit seiner Arbeit an. In einer langwierigen und ungemein wichtigen Analyse bestimmte er die spezifische Reihenfolge der beiden miteinander verbundenen Aminosäureketten des Insulins. Um die Kettenenden zu bestimmen, wandte er eine seither als Sangers Reagens bezeichnete Lösung an. Die Reihenfolge der Aminosäuren allerdings blieb unsichtbar, bis er entdeckte, wie sie zu fixieren und anhand der charakteristischen Spuren, die sie beim Filtern durch Papier hinterlassen, zu analysieren waren. 1955, nach fast zwölf Jahren Arbeit, besaß er eine komplette Analyse des Insulins, deren Bedeutung sofort erkannt wurde. 1958 wurde ihm der Nobelpreis für Chemie verliehen. Langfristig hielt die Entdeckung der Insulinstruktur für die Medizin große Versprechungen bereit, sie hatte aber auch unmittelbare Auswirkungen auf die Molekularbiologie. Zum ersten Mal war nun zweifelsfrei nachgewiesen worden, daß Proteine einzig aus Aminosäurekombinationen bestehen. Kurz darauf entwarf FRANCIS CRICK die Vorstellung, daß die Hauptaufgabe der DNS die Erzeugung einer großen Vielfalt von Proteinen mit spezifischen Funktionen sei. Zu verstehen, wie die DNS die Instruktionen zur Proteinbildung verwaltet und weitergibt, wurde zu einer der größten Herausforderungen der Biochemie. Ein Zwischenschritt, bevor Sanger mit seinen Forschungen zu den Nukleinsäuren beginnen konnte, betraf die Entzifferung des genetischen Codes. Um 1961 zeigten Experimente, daß Gruppen von je drei Nukleotiden, sogenahnte Tripletts, die sich auf dem DNS-Strang befinden, Codone bilden. Diese Codone stehen für die verschiedenen Aminosäuren. Sie enthalten Anweisungen zum Zusammenbau der Aminosäuren in einer bestimmten Reihenfolge, die dann in die Proteinsynthese eingebaut werden. Ein bestimmter DNS-Abschnitt, auf eine Ribonukleinsäure (RNS)-Matrize kopiert, erzeugt diesen Zusammenbau gemäß einem Prinzip, das manchmal wie folgt angegeben wird: Die DNS erzeugt die RNS erzeugt das Protein. 1962 trat Sanger dem Medical Research Council Laboratory of Molecular Biology in Cambridge bei. Nach einigen »mageren« Jahren, in denen er wenig zur Forschung beigetragen hatte, war er nun zur Erforschung der DNS und RNS bereit. Er und seine Laborkollegen suchten nach Methoden, um die Reihenfolge der Nukleotide, die die genetische Information einbetten, erkennen und die langen Basen-folgen auf den DNS- und RNS-Abschnitten bestimmen zu können. Neue Strategien zur Bestimmung der Nukleotidsequenzen wurden möglich, je mehr man über die komplexen molekularen Prozesse der DNS wußte. So mußte Sanger, als er mit seiner Arbeit begann, auf Methoden zurückgreifen, die er bereits beim Insulin angewandt hatte. 1968 war er soweit, daß er einen RNS-Abschnitt mit 120 Nukleotiden dekodiert hatte - für die damalige Zeit ein Rekord. Aber schnellere und weniger mühevolle Techniken waren notwendig. Anfang der 70er Jahre zerlegte er die DNS nicht mehr in einzelne Abschnitte, sondern begann mit Versuchen, mittels radioaktiv markierter Nukleotide Kopien eines DNS-Strangs zu erstellen. Er benutzte dabei verschiedene Methoden. Indem er DNS-Polymerase, einen neuentdeckten Katalysator, in Verbindung mit radioaktiv markierten Nukleotiden verwandte, konnte er noch längere Abschnitte identifizieren. Als er feststellte, daß er die DNS-Polymerase-Methode kontrolliert einsetzen konnte, wenn er bestimmte Basen ausließ, erfand er die sogenannte »Plus-Minus«-Methode der Sequenzbestimmung. »Die beste Idee, die ich jemals hatte«, wie er sagte. »Sie war originell und letztendlich überaus erfolgreich.« Und er fand heraus, daß er chemisch veränderte Basen als Endzwischenstücke der Kette verwenden konnte; die so abgegrenzten DNS-Abschnitte konnte er elektrisch der Länge nach zerlegen, so daß sich die Nukleotide in den Abschnitten als kleine Streifen abzeichneten, die in vier zu den jeweiligen Basen korrespondierenden Reihen aufgespalten sind. 1974 begann Sanger damit, die Sequenz des relativ einfachen Virus Phi X174 zu bestimmen. Vier Jahre später veröffentlichte er die gesamte, aus 5386 Basen bestehende Sequenz - der bis dahin längste Strang, der bestimmt worden war, und ein Höhepunkt in Sangers Karriere. Die Fortschritte in der Sequenzbestimmung, die danach folgten, verliefen mit exponentieller Geschwindigkeit. 1980 erhielt Sanger - zusammen mit Walter Gilbert und Paul Berg - seinen zweiten Nobelpreis für Chemie in Anerkennung dessen, was sich im darauffolgenden Jahrzehnt als Revolution in der Biologie abzeichnen sollte. Die Fähigkeit, die DNS zu dekodieren, hält neue Techniken zur Manipulation genetischen Materials bereit, darunter die Erzeugung von Genen, um damit bestimmte Proteine herstellen zu können. 1982 wurde das menschliche Insulin-Gen Bakterien eingefügt und war somit das erste der mittlerweile zahlreichen Produkte der Gentechnologie. Die Aussicht, das gesamte menschliche Genom zu bestimmen - einen DNS-Strang von ein Meter fünfzig Länge, 0,00000125 Millimeter Dicke, mit drei Milliarden Basen-paaren -, rückte durch die immer ausgefeilteren und automatisierten Methoden der Sequenzbestimmung in mittleri weile greifbare Nähe. Das Projekt, Mitte der 80er Jahre vorgeschlagen, wurde von der US-Regierung aufgegriffen und finanziell unterstützt. Frederick Sanger zog sich 1983 vom Forschungsbetrieb zurück, fünf Jahre später ging er im Alter von siebzig Jahren in den Ruhestand. Obwohl er nicht vorgehabt hatte, so jung zurückzutreten, »war die Gelegenheit überraschend günstig. Denn mit der DNS-Sequenzmethode hatte unsere Arbeit ihren Höhepunkt gefunden. Alles weitere wäre nur ein Abstieg gewesen.« Er kümmert sich um seinen Garten, segelt und lebt mit seiner Frau Margaret Joan Howe, mit der er seit 1940 verheiratet ist und drei Kinder hat.  
 

 

 

 
 
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