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HERRMANN VON HELMHOLTZ

 
     
  HERRMANN VON HELMHOLTZ und der Aufstieg der deutschen Naturwissenschaft. Lebensdaten: 1821 - 1894. Hermann von Helmholtz, auch liebevoll »Reichskanzler der Physik« genannt, ist eine herausragende Gestalt in der wissenschaftlichen Renaissance, die Deutschland im 19. Jahrhundert erlebte. Von ihm stammen fundamentale Beiträge zur Physiologie und zur Physik, dazu wichtige Neuerungen in der Optik und Akustik. Helmholtz war einer der letzten großen Wissenschaftler, der auf einer Vielzahl von Gebieten tätig war - neben den bereits genannten seien noch die Thermodynamik, Elektrodynamik und Hydrodynamik erwähnt. Er hatte großen Einfluß auf andere Wissenschaftler, vor allem Heinrich Hertz und MAX PLANCK, und war der dominierende Wissenschaftler an der Universität Berlin in den Jahren vor der Revolution, die mit dem 20. Jahrhundert die Physik erfaßte. »Als Vertrauter der Herrschenden und Industriellen, Künstler und Philosophen, Männer der Wissenschaft und Regierungsbeamten«, schrieb Richard I. Kremer, »regierte Helmholtz als politischer und geistiger Führer über die mächtige deutsche Wissenschaft.« Hermann Ludwig Ferdinand von Helmholtz (wie er sich nannte, nachdem er 1882 in den Adel erhoben worden war) wurde am 31. August 1821 in Potsdam geboren. Seine Mutter Caroline Penn war eine Nachfahrin von William Penn. Zu seinem Vater hatte der kränkelnde Junge eine enge Beziehung; Ferdinand Helmholtz, ein sensibler, äußerst gebildeter Mann, der an der Universität Potsdam Philosophie und Literatur unterrichtete, brachte seinem Sohn Latein und Griechisch, daneben Hebräisch, Französisch, Englisch, Arabisch und Italienisch bei und führte ihn in die Transzendenzphilosophie Hegels und in die Schriften Kants ein. Helmholtz interessierte sich von Jugend an für die Physik, seine Familie war jedoch finanziell nicht in der Lage, ihm eine Universitätsausbildung zukommen zu lassen. So besuchte er ab 1838 das Friedrich-Wilhelm-Institut für Medizin, wo er eine kostenlose Ausbildung zum Mediziner erhielt, mußte sich im Gegenzug dafür aber für eine fünfjährige Dienstzeit als Armeearzt verpflichten. 1842, nach dem Studium beim bekannten Physiologen und Anatomen Johannes Müller, legte er sein medizinisches Examen ab. Seine Doktorarbeit über den Aufbau des Nervensystems von wirbellosen Tieren faßte die Bandbreite seiner Interessen - Physiologie, Physik und Elektrizität - auf wunderbare Weise zusammen. Die Militärdienstzeit verbrachte er in Potsdam, wo er seine Forschungen fortsetzen und sich sogar ein Labor einrichten konnte und somit über die neuesten Entwicklungen in den Wissenschaften auf dem laufenden blieb. 1848 wurde er aus dem Militär entlassen und über nahm daraufhin eine Professorenstelle an der Universität Königsberg. Eines der Hauptanliegen von Helmholtz' betraf die Widerlegung des Vitalismus, der Lehre, wonach alle lebenden Organismen einer (Lebens-)»Kraft« bedürfen, die chemisch oder physikalisch jedoch nicht erklärt werden konnte.Bereits 1842 hatte Julius Robert von Mayer aus seinen Studien zum menschlichen Stoffwechsel abgeleitet, daß Energie und Wärme quantitativ äquivalent seien, was er 1845 auf elektromagnetische und chemische Phänomene ausweitete. Von Helmholtz war sich dessen Arbeit nicht bewußt, als er 1847 vor der Physikalischen Gesellschaft in Berlin seinen Vortrag »Über die Erhaltung der Energie« hielt. Darin ging er ähnlich wie Mayer von der Hypothese aus, daß es eine grundlegende Einheit der Materie gebe -Wärme und Muskelkontraktion seien nur Resultat von physikalischen und chemischen Reaktionen -, was vitalistischen Vorstellungen grundlegend widersprach. Wie die Arbeit Mayers begründete Helmholtz' Vortrag den ersten Hauptsatz der Thermodynamik. Beide Arbeiten wurden anfänglich zurückgewiesen (was zu Mayers nachfolgender psychischer Erkrankung beigetragen haben könnte), aber von Helmholtz' Beitrag war mathematisch exakt ausgearbeitet, und wenn seine Schlußfolgerungen auch nicht sofort anerkannt wurden, so könnte man allein aufgrund dieses Vortrags ihn als erkennbar modernen Naturwissenschaftler einordnen. Bei Studien zur Lichtempfindlichkeit des Auges erfand von Helmholtz 1851 das Ophthalmoskop, den Augenspiegel. Wie er Jahre später erklärte, kam ihm der Gedanke dazu, als er feststellte, daß rote Strahlen vom Auge reflektiert werden. Vor ihm war bereits Ernst von Brücke aufgefallen, daß sich die Pupille reflexartig weitet oder zusammenzieht, er hatte sich aber nicht die Frage gestellt, zuwelchem optischen Bild die vom beleuchteten Auge zurückgeworfenen Strahlen gehören. Grund für die Reflexion ist die lichtempfindliche Retina im Auge. Helmholtz konstruierte ein simples Handgerät - einen beleuchteten konkaven Spiegel mit einem Loch in der Mitte. Der Apparat funktionierte zunächst nicht, und »wäre nicht meine feste theoretische Überzeugung gewesen, daß es möglich sein mußte, den Augenhintergrund zu sehen, hätte ich nicht weitergemacht. Aber nach etwa einer Woche war ich der erste, dem es gelang, ein klares Bild der menschlichen Retina zu erhalten.« Von Helmholtz entwickelte auch den Ophthalmometer zur Bestimmung der Krümmungsradien der Augenhornhaut, wodurch es möglich wurde, den Grad an Astigmatismus zu diagnostizieren. Ein Gerät, das von Grafe, einer der führenden Augenheilkundler, als die »einflußreichste aller Erfindungen« bezeichnete, die von Helmholtz beträchtliches Ansehen eintrug. 1856 veröffentlichte er den ersten Band seines Handbuch der Physiologischen Optik. Der Katalog von Helmholtz' Errungenschaften ab 1850 ist beeindruckend. 1852 erfand er den Myographen, mit dem zum ersten Mal die Fortpflanzungsgeschwindigkeit von Nervenreizen gemessen werden konnte. Er korrigierte die von Thomas Young aufgestellte Hypothese des Dreifarbensehens, so daß daraus eine zusammenhängende Theorie wurde. Bei seinen Studien zum Ohr kam er zu einem neuen Verständnis seines Aufbaus, was ihn zu seinen berühmten Forschungen über die Akustik und einer Theorie der Luftschwingungen in offenen Räumen führte. 1863 lieferte sein Werk Über die Tonwahrnehmung als physiologische Grundlage für die Musiktheorie eine mechanistische Erklärung der Musikästhetik, die im weitesten Sinne auch heute noch gültig ist. 1855 ging Helmholtz an die Universität Bonn, drei Jahre später an die Universität Heidelberg, wo auf sein Betreiben hin ein neues Institut für Physiologie errichtet wurde. Ende der 60er Jahre kam er jedoch zu der Überzeugung, daß das schnell wachsende Feld der Physiologie in seiner Vollstän digkeit nicht mehr von einer Einzelperson erfaßt werden könne. Daraufhin wandte er sich der Physik zu. 1871 akzeptierte er die renommierte Stellung als Professor für Physik an der Universität Berlin. Bald darauf folgten Arbeiten zur Mechanik, Hydrodynamik und zum Elektromagnetismus. Historisch gesehen liegt die Bedeutung von Helmholtz' für die Physik in Deutschland in der Orientierung zu den Arbeiten von MICHAEL FARADAY und JAMES CLERK MAXWELL. Während Maxwells Theorie zum Elektromagnetismus eine Feldtheorie war, die den Anstoß für eine neue Theorie zur Materie gab, ging die in Deutschland damals vorherrschende Meinung davon aus, daß Elektrizität eine »Wirkung über Entfernung« sei. Von Helmholtz näherte sich schrittweise Maxwells Ansichten an und erkannte, daß sich als Konsequenz daraus eine Teilchentheorie elektrischer Phänomene ergeben werde. »Wenn wir die Hypothese akzeptieren, daß elementare Stoffe [die Elemente] aus Atomen bestehen«, sagte er 1881, »können wir uns nicht der Schlußfolgerung verweigern, daß auch die Elektrizität, die positive wie negative, in elementare Portionen unterteilt ist, die sich wie Atome der Elektrizität verhalten.« Auf von Helmholtz' Anregung bestätigte 1886 sein Student Heinrich Hertz experimentell Maxwells Gleichungen. Als er Hertz' Ergebnisse der Physikalischen Gesellschaft in Berlin ankündigte, war er alles andere als bescheiden. »Meine Herren«, rief er aus, »ich werde Ihnen heute die wichtigste physikalische Entdeckung des Jahrhunderts mitteilen.« Von Helmholtz selbst versuchte - auf interessante Weise - die Elektrodynamik auf eine Reihe von mathematischen Begriffen zurückzuführen, was vor allem deswegen scheiterte, weil die klassische Physik an ihre Grenzen gestoßen war. 1885 war von Helmholtz das unumstrittene Oberhaupt der deutschen Wissenschaft. Er war Mentor zahlreicher Studenten, die später selbst wichtige Physiker wurden. Was ihm an menschlicher Wärme und Humor fehlte, machte er mit persönlicher Integrität, Interesse an seinen Studenten und Charisma wett. MAX PLANCK, der die Grundlagen der Quantentheorie schuf, beschrieb ihn mit fast kindlicher Ehrfurcht. Wenn er während eines Gesprächs »mich mit diesen ruhigen, suchenden, durchdringenden und doch so gütigen Augen ansah, war ich von einem Gefühl grenzenlosen Vertrauens und Hingabe erfüllt.« Dies, obwohl von Helmholtz ein schlechter Vortragsredner war. Es war offensichtlich, »daß von Helmholtz seine Vorlesungen niemals vorbereitete. Er sprach stockend und unterbrach oft seinen Vortrag ... und wir hatten das unmißverständliche Gefühl, daß ihn der Unterricht ebenso sehr langweile wie uns auch.« Mit seiner ersten Frau Olga von Velten hatte er zwei Kinder. Zwei Jahre nach ihrem Tod - sie starb 1859 - heiratete er die viel jüngere Anna von Mohl, mit der er drei weitere Kinder hatte. Gegen Ende seines Lebens litt er an migräneartigen Kopfschmerzen und Depressionsanfällen. Von Helmholtz starb am 8. September 1894 nach einem Schlaganfall. Von Helmholtz war »der letzte Gelehrte«, schrieb R. Stevens Turner, »dessen Arbeit in der Tradition von Leibniz die gesamte Naturwissenschaft sowie die Philosophie und die schönen Künste umfaßte.«  
 

 

 

 
 
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