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NIELS BOHR

 
     
  NIELS BOHR und das Atom. Lebensdaten:1885 - 1962. Die Quantenmechanik liefert den grundlegenden Bezugsrahmen für die Physik des 20. Jahrhunderts. Durch sie wurde es möglich, den Mikrokosmos zu verstehen, wodurch eine Reihe von neuen Technologien entstanden, darunter der Transistor, der SilikonChip und die Atomenergie. Sie bietet eine umfassende Erklärung der chemischen Bindung und schuf ein neues Verständnis biologischer Phänomene. Heute bezieht sich sogar die Kosmologie auf Vorstellungen der Quantentheorie, und sieht man davon ab, daß sich durch sie das tägliche Leben verändert hat, war sie auch der Ausgangspunkt für weitreichende Umwälzungen im philosophischen Denken. An der Entwicklung der Quantentheorie waren einige Wissenschaftler beteiligt, der wichtigste aber war der dänische Physiker Niels Bohr. Seine Bedeutung manifestiert sich in zweifacher Weise: durch seine eigene Arbeit und durch deren grenzüberschreitenden Einfluß auf die theoretische Physik im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts. Das von ihm 1913 entworfene, äußerst einflußreiche Atommodell schuf die Voraussetzung für die Quantenmechanik, die sich Ende der 20er Jahre entwickeln sollte. Bohr beschäftigte sich mit den philosophischen Folgen seiner Theorie, die eine radikale Abkehr vom Determinismus und den alltäglichen Vorstellungen von Ursache und Wirkung nach sich zog. Seine »Kopenhagener Deutung« der Quantenwelt hat bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren. Mit Niels Bohr fanden alle Versuche, eine »letztgültige« Wirklichkeit zu finden, ein Ende. »Es ist falsch zu glauben, daß es Aufgabe der Physik sei, herauszufinden, wie die Natur ist.« Laut Bohr »beschäftigt sich die Physik mit dem, was wir über die Natur sagen können.« Niels Bohr wurde am 7. Oktober 1885 in Kopenhagen als Sohn von Christian Bohr, einem Physiologieprofessor, und Ellen Adler Bohr geboren. Die Bohrs waren eine gebildete, intellektuelle Familie, und Niels wuchs unter günstigsten Verhältnissen auf. Seine Mutter war eine warmherzige, intelligente Frau; sein Vater, wie Bohr sich später erinnerte, gab deutlich zu verstehen, »daß von mir etwas erwartet wurde.« Die Familie war alles andere als religiös, und Bohr wurde zu einem überzeugten Atheisten, der religiöse Gedanken für schädlich und irreführend hielt. Ab 1891 besuchte er die Gammelholms Latin og Realskole, wo er als guter Schüler galt, groß für sein Alter, Prügeleien nicht abgeneigt, aber auch ein wenig scheu. Wie er später sagte, fühlte er sich »infolge des väterlichen Einflusses« leidenschaftlich zu den Wissenschaften hingezogen. 1903 trat er in die Universität Kopenhagen ein, wo er Physik studierte und bis zu seinem Studienabschluß 1909 und der Erlangung der Doktorwürde 1911 blieb. In jenem Jahr starb sein Vater, im gleichen Jahr heiratete er Margrethe Norlund. 1911 hatten die revolutionären Veränderungen im Verständnis der Atomstruktur bereits eingesetzt. Bohrs Doktorarbeit beschäftigte sich bereits mit der Theorie der Elektronen, die ein Jahrzehnt vorher von JOSEPH J. THOMSON entdeckt worden waren und die man als universale Bestandteile der Materie ansah. Um die Vielzahl stabiler Atome zu erklären, hatte Thomson vorgeschlagen, daß die Zahl der Elektronen in einem Atom mit dessen Gewicht korrespondiere. Und ERNEST RUTHERFORD war die entscheidende Entdeckung gelungen, daß das Atom einen kompakten, massiven Kern besitzt. Dies führte dazu, daß die Physiker die Theorie, das Atom sei eine Art »Plumpudding« - ein mit rosinenähnlichen Elektronen gespickter Kern -, zugunsten von Rutherfords Modell, bei dem die Elektronen auf Bahnen um den winzigen Kern laufen, aufgaben. 1913, Bohr war in England und arbeitete mit Rutherford zusammen, veröffentlichte er drei Artikel über die Atomstruktur, die den Lauf der Physik verändern sollten. Obwohl durch Rutherfords Atommodell gewisse Probleme gelöst werden konnten, blieb die entscheidende Frage weiterhin bestehen - warum die umkreisenden Elektronen, die offensichtlich vom Kern angezogen werden, nicht auch von ihm absorbiert werden. Kurz, das Modell erklärte nicht die Stabilität eines Atoms, eines seiner zentralen Merkmale. Bohr spürte, daß die klassische Mechanik Newtons das Verhalten der Materie auf Atomebene nicht erklären konnte. Er wandte sich der Quantenphysik zu, die MAX PLANCK um die Jahrhundertwende entworfen hatte, um das Problem des »schwarzen Strahlers« zu lösen, und die einige Jahre später auch ALBERT EINSTEIN anwandte, um das teilchenhafte Verhalten von Licht zu erklären. In einer relativ kurzen Zeitspanne intensiver Arbeit (1912) untersuchte Bohr, wie ein Wasserstoffatom Licht abstrahlte, und entwickelte daraus eine Theorie, die ungewöhnlich genau mit den beobachteten Fakten übereinstimmte. Er nahm an, ein Elektron strahle nur dann Licht ab, wenn es seine Umlaufbahn verändere, und so identifizierte er die Emission eines »Licht-Quantums« mit dem »Sprung«, den ein Elektron von einer Bahn zur nächsten macht. Als Einstein von Bohrs Ergebnissen erfuhr, kommentierte er es mit der ihm eigenen lakonischen Gewißheit, dies sei eine »enorme Errungenschaft.« Das Atommodell von Rutherford und Bohr, wie es in der Folgezeit genannt wurde, stellte einen elementaren Fortschritt dar und wurde bald genutzt, um mehr über die Atomstruktur der bekannten Elemente zu erfahren. Zu Bohrs Leistungen im Jahr 1913 gehörte auch, daß er den Quantensprung der Elektronen mittels des Röntgenstrahlenspektrums nachweisen konnte. Im nächsten Jahr führte der britische Physiker Harry Moseley, aufbauend auf Bohrs Grundlagen, eine neue definitive Ordnung des Periodensystems ein. Er unterzog jedes chemische Element einer Röntgenstrahl-Spektralanalyse und wies ihnen eine charakteristische Atomzahl zu. Bohr gelang in den nächsten Jahren eine Reihe von technischen Verbesserungen, die, wie Abraham Pais schrieb, »um so erstaunlicher und fabelhafter waren, da sie alle auf Analogien basieren Umlaufbahnen um das Atom ähnlich der Bewegung der Planeten um die Sonne, Eigenrotation ähnlich der Rotation der Planeten auf ihrer Bahn , die aber allesamt falsch sind.« 1922 wurde Bohr der Nobelpreis für Physik verliehen. Tatsächlich stellte sich heraus, daß Bohrs Atommodell mit bedeutenden Mängeln behaftet war. Was manchmal als »erste Quantenrevolution« bezeichnet wird, konnte nicht die Probleme lösen, die bei komplexeren Atomen auftreten. Obwohl die Theorie zwischen 1913 und 1925 stufenweise ausgebaut wurde, blieben ernsthafte Schwierigkeiten bestehen, die schließlich zur »zweiten Quantenrevolution« führen sollten. In den 20er Jahren gehörte Bohr zu den Hauptakteuren bei der Lösung der Krise, in welche die Physik aufgrund der Mängel geraten war, die dem von ihm entwickelten Atommodell anhafteten. Nach seiner Rückkehr an die Universität Kopenhagen (1916) wurde er Professor für theoretische Physik und war an der Gründung des Instituts für theoretische Physik beteiligt (1921). Kopenhagen wurde so zu einem Anziehungspunkt für Physiker mit Bohr als der zentralen Figur. Die »zweite Quantenrevolution« schuf ein rein mathematisches Atommodell, das der unzureichenden menschlichen Wahrnehmung, was Ereignisse auf subatomarer Ebene anbelangt, Rechnung trägt. Modelle dafür sind ERWIN SCHRÖDINGERS Wellenmechanik, HEISENBERGS Matrizenmechanik und seine berühmte Unschärferelation, die anerkennt, daß physikalische Systeme nicht uneingeschränkt unmittelbar wahrzunehmen sind. Ende der 20er Jahre entwickelte Bohr zwei Konzepte, die entscheidend dazu beitrugen, der Quantentheorie zu einer erfolgreichen Wiedergeburt zu verhelfen. In seiner berühmten Vorlesung von 1927 »Die philosophischen Grundlagen der Quantentheorie« diskutierte er zum ersten Mal das Konzept der »Komplementarität«. Sie verfolgt die Vorstellung, daß subatomare Systeme zwar durch verschiedene, einander ausschließende Modelle wie Teilchen oder Wellen dargestellt werden können, für eine vollständige Beschreibung des Phänomens aber beide nötig sind. Angesichts der philosophischen Konsequenzen dieser Vorstellung, argumentierte Bohr, könne das Komplementaritätsprinzip auch auf das Problem des freien Willens wie überhaupt auf alle Lebensprozesse angewandt werden. Wichtiger noch war, daß die Quantentheorie in der Folge als grundlegende und vollständige Naturbeschreibung gesehen wurde, die durch zukünftige Entdeckungen nichts von ihrer Gültigkeit verliere: Es gibt keine »tiefere« Wirklichkeit hinter den Quantenmessungen. Obwohl diese Vorstellung oft in Frage gestellt wurde, blieb sie bis heute die Grundlage des »Kopenhagener Geists«. Von Albert Einstein, Max Planck und anderen Naturwissenschaftlern wurde sie nie ganz akzeptiert, besteht aber bis heute im Grunde unverändert fort. In den 30er Jahren begann sich Bohr mit der Kernphysik zu befassen, 1934 schlug er ein »Tröpfchenmodell« des Atomkerns vor, das von Bedeutung wurde, als man versuchte, die bei der Kernspaltung auftretenden Prozesse zu verstehen. 1936 lieferte er eine umfassende Theorie des Atomkerns, die im folgenden Jahrzehnt für Naturwissenschaftler richtungsweisend wurde. Laut Bohrs Theorie werden Neutronen und Protonen im Kern durch eine »starke Kraft« zusammengehalten. Obwohl offensichtlich war, daß Energie freigesetzt wird, wenn man diesen sogenannten Compoundkern aufbrach, war man sich in jener Zeit über die Auswirkungen der Kernspaltung noch keineswegs im Klaren. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs blieb Bohr zunächst in Dänemark, auch als das Land 1940 von Deutschland besetzt wurde. Aufgrund seines Ansehens gelang es ihm, einige seiner Kollegen vor der Verfolgung zu bewahren und ihnen zur Flucht zu verhelfen; er selbst weigerte sich, mit den Nazis zu kooperieren und für ihre Kriegsziele zu arbeiten. Erst als 1943 Gerüchte ihn davon überzeugen konnten, daß seine Verhaftung kurz bevorstand, flohen er und seine Familie nach Schweden und über England in die USA. Bald darauf war er unter dem Codenamen »Uncle Nick« Mitarbeiter am Manhattan Project. Allerdings war sein Beitrag von eher symbolischer Natur. Er stimmte dem Abwurf der Atombombe keineswegs zu und traf sich noch während des Kriegs mit Roosevelt und Churchill, der seinen Vorschlag, alle Informationen offen der Sowjetunion mitzuteilen, um damit einem atomaren Wettlauf zuvorzukommen, rundweg ablehnte. Nach dem Krieg kehrte Bohr nach Dänemark zurück, 1955 nahm er seinen Abschied von der Universität Kopenhagen. Als engagierter Wissenschaftler stand er der Produktion von Atomwaffen ablehnend gegenüber, schrieb 1950 einen berühmten »offenen Brief« an die Vereinten Nationen und erhielt 1957 unter vielen anderen Auszeichnungen den Atoms for Peace Award Er setzte sich aktiv für die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit ein und war an der Gründung des europäischen Atomforschungszentrum (CERN) in Genf beteiligt. Am 17. November 1962 gab er sein letztes Interview über die Geschichte der Quantentheorie , am nächsten Tag erlitt er während seines üblichen Mittagsschlafs einen tödlichen Herzinfarkt. Er wurde im Familiengrab in Kopenhagen beigesetzt. Anders als Einstein war Bohr immer bestrebt, mit anderen zusammenzuarbeiten. Von Kollegen wurde er hoch gelobt, von seiner Familie und seinen Freunden bewundert. Laut Victor Weisskopf schuf Bohr den »Kopenhagener Stil«: »Wir sehen ihn noch, ihn, den größten unter seinen Mitarbeitern, wie er handelte, redete, wie er als gleicher inmitten einer Schar von jungen, optimistischen, fröhlichen, enthusiastischen Menschen lebte und die größten Rätsel der Natur anging, dabei durchdrungen von einem Geist, der frei war von allen konventionellen Beschränkungen, und einer Freude, die kaum zu beschreiben ist.« Aus seiner glücklichen Ehe mit Margrethe gingen sechs Söhne hervor, von denen einer, Aage Bohr, ebenfalls Physiktheoretiker und Nobelpreisträger wurde. Obwohl Niels Bohr keineswegs alleine einen neuen theoretischen Zugang zum Verständnis der Welt entwickel te, nimmt er in der Geschichte der Wissenschaft einen Platz ein, der einzigartig ist und ihm von kaum jemanden streitig gemacht wird. Richard Rhodes drückt es einfacher aus: »Bohrs Beitrag zur Physik des 20. Jahrhunderts wird nur von Einstein übertroffen.«  
 

 

 

 
 
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