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Wilhelm Wundt |
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Wilhelm Wundt und die Anfänge der Psychologie. Lebensdaten: 1832 - 1920. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war die Wissenschaft der Psychologie von der Philosophie nicht zu trennen. Von Beginn an befaßte sie sich mit komplexen Denkprozessen und den grundlegenden Elementen der Wahrnehmung. Denker wie William James schrieben wahrnehmungsorientierte Erkundungen der menschlichen Seele, auf die die Philosophie immer weniger Ansprüche anmelden konnte. Gleichzeitig schufen die Studien von HERMANN HELMHOLTZ und die Psychophysik Gustav Fechners die Grundlagen für eine neue experimentelle Wissenschaft. In diesem Kontext gilt Wilhelm Wundt als der Begründer der akademischen Psychologie. Der berühmte und produktive Wissenschaftler war, wie Paul Fraisse schreibt, »kein unumstrittenes Genie, aber die Vielfalt und Bandbreite seiner Schriften, seine Gelehrsamkeit, seine nachhaltige Wirkung und sein Einfluß machen ihn zum Begründer der ,experimentellen Psychologie.« Wilhelm Max Wundt wurde am 16. August 1832 in Neckarau bei Mannheim geboren. Sein Vater Maximilian Wundt war Pastor, anscheinend kein besonders guter, der laut seinem Sohn nur unwillig eine alte Familientradition fortführte. Die Mutter Maria Friederike Arnold stammte aus einer kultivierten, bürgerlichen Familie. Wundt interessierte sich früh für Bücher und entwickelte ein ausgeprägtes, von Tagträumen und Phantasien beherrschtes Innenleben. 1848 unterstützte er den Wiener Aufstand und mußte mit seinen Kameraden erleben, wie die preußische Armee der badischen Republik ein Ende setzte. Seine revolutionären Aktivitäten bezeichnete er später als einen der Höhepunkte seines Lebens. Wundt besuchte die Universitäten in Tübingen und Heidelberg, an der er 1855 sein medizinisches Examen ablegte. Er praktizierte nicht, sondern begann 1857 in Heidelberg Physiologie zu lehren und wurde Laborassistent bei Hermann Helmholtz. Nachdem er eine rätselhafte, von Depressionen überschattete Krankheit überstanden hatte, kehrte er mit neuem Elan ins Leben zurück. Sein erstes Buch, 1858 erschienen, beschäftigte sich noch mit der Mechanik von Muskelbewegungen. Erst dann sollte er sich den Themen zuwenden, die eines Tages auf dem Lehrplan der Psychologie zu finden sein würden. Wie bei anderen frühen Psychologen ist allen Werken Wundts anzumerken, daß er eine physiologische Ausbildung genossen hatte. 1862 wurden seine Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung veröffentlicht, das heute als das Werk gilt, das die experimentelle Psychologie begründete. 1863 erschienen die Vorlesungen über die Menschen- und Thierseele, und 1865 veröffentlichte er die erste Ausgabe seines Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Die 1873 und 1874 erschienenen Grundzüge der physiologischen Psychologie, eine seiner wertvollsten und erfolgreichsten Veröffentlichungen, ließ, wie eine zeitgenössische Besprechung äußerte, der Beziehung zwischen Körper und Bewußtsein die seit langem notwendige wissenschaftliche Behandlung erfahren. 1875 übernahm Wundt an der Universität Leipzig den Lehrstuhl für Philosophie, der ihm aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Qualifikationen angeboten wurde. Wundt sollte dort die nächsten fünfundvierzig Jahre bleiben, und er und sein Labor wurden zu einem Mekka für Studenten aus Deutschland und anderen Ländern. Ein Großteil seines Einflusses basierte auf seiner Lehrtätigkeit (angeblich soll er über zweihundert Dissertationen betreut haben). Er bildete eine ganze Generation junger, wichtiger Psychologen aus. Große Bedeutung kam dabei der Tatsache zu, daß er sich auf das Experiment verließ. 1879 gründete er offiziell das Institut für experimentelle Psychologie, in der Zeitschrift Philosophische Studien veröffentlichten er und seine Studenten die Ergebnisse ihrer Arbeiten und begründeten damit den statistischen Trend in der Psychologie, der bis heute anhält. Obwohl sich Wundt zum Teil auch auf die Introspektion verließ, waren viele seiner Studien zur menschlichen Wahrnehmung bewußt so angelegt, daß objektive Ergebnisse zustande kamen. Wundt war sich der Grenzen des Experiments durchaus bewußt. Darauf zurückführen läßt sich sein zweiter psychologischer Ansatz, der heute einen wichtigen Teil seines Erbes darstellt. Indem er den sozialen Kontext betonte, sich mit den kulturellen Gegebenheiten und der Sprache beschäftigte, führte er als einer der ersten die Soziopsychologie, Kulturanthropologie, Philosophie und Soziologie zusammen. 1886 veröffentlichte er seine Ethik und 1889 sein System der Philosophie. 1900, er war achtundsechzig Jahre alt, erschien der erste Band seiner Völkerpsychologie, dem er in den nächsten zwanzig Jahren neun weitere folgen ließ. Der Titel ist irreführend. Wundts Ziel war die Erforschung von Mythen, Bräuchen und des Sprachgebrauch im kulturellen und historischen Kontext. Obwohl Herman K. Haeberlin darin einen »ingeniösen Versuch« sieht, muß er dennoch konstatieren, daß Wundts Vorhaben in sich zusammenfällt, wenn es in die Praxis umgesetzt wird. Experimentalpsychologen, denen es zu metaphysisch war, lehnten es manchmal sogar rundweg ab. Wundts Einfluß auf die Psychologie ist in gewisser Weise mehr symbolisch als real, dennoch kann er nicht ignoriert werden. Sein Name »bleibt unauslöschlich mit den Anfängen der experimentellen Psychologie verknüpft«, schreibt Kurt Danziger und fügt an, daß dem so sei, auch wenn keine einzigartige wissenschaftliche Entdeckung, kein neuer methodologischer Ansatz, keine einflußreiche Theorie auf ihn zurückgehen. Die Tatsache, daß sein Einfluß groß, sein Erbe eher gering ist, stellt in der Psychologie keinen Einzelfall dar. Das gleiche Schicksal trifft auf viele Psychologen zu, die der Vergessenheit anheimfielen, noch bevor ihre Laufbahn zu Ende war. B. F. SKINNER ist hier nur ein Beispiel. Zu Wundts Experimentierapparaten gehörte auch ein »Gedankenmeter«, mit dem er versuchte, die Wahrnehmung der Zeit zu messen. Es war charakteristisch für Wundt, daß er sehr genau wahrnahm, welche große Rolle die Zeit in der modernen Welt zu spielen begann. Die Uhr, schrieb er, »war der erste Polizist«, der große Einschränkungen für die persönliche Freiheit mit sich brachte. In allen Menschen sei »ein natürlicher Instinkt«, der ihn gegen jede Macht aufbegehren läßt, die versucht, seine Unabhängigkeit zu unterdrücken. »Wir können alles lieben, Menschen, Tiere, Blumen, Steine - aber niemand liebt die Polizei! So sind wir alle, manche mehr, manche weniger, in einem niemals enden wollenden Streit mit der Uhr gefangen ... ich bin es, der manchmal auf den Flügeln eines Vogels fliegt und der manchmal wie eine Schnecke dahinkriecht, und ... wenn ich denke, ich schlage die Zeit tot, schlage ich in Wirklichkeit mich selbst tot. « Wilhelm Wundt starb am 31. August 1920. |
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