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EDWARD TELLER und die Bombe. Lebensdaten: geb. 1908. Die Geschichte der Kernphysik ist eng mit dem Bau von Massenvernichtungswaffen verbunden. Kein Wissenschaftler führt dies eindringlicher vor Augen als der in Ungarn geborene Edward Teller. Er war an der Entwicklung der Atombombe beteiligt und wurde in den 50er Jahren als »Vater der Wasserstoffbombe« bekannt, setzte sich unermüdlich für die Belange der nationalen Verteidigung ein und entwickelte und warb unter Reagans Regierungszeit für das »Star Wars«-Programm, das kostspielige Verteidigungssystem, das die USA vor einem Atomangriff schützen sollte. Wegen seiner politischen Einstellung und seinen Leistungen als Physiker gilt Teller als einer der einflußreichsten Physiker im 20. Jahrhundert. Manche sehen in ihm einen besonnenen, die anderen einen gefährlichen Menschen. »Die Menschheit ringt noch immer mit Tellers Erbe«, schreibt William J. Broad, »und ist noch immer damit beschäftigt, mit den Gedanken und Projekten, die er entwarf, zu Rande zu kommen.« Edward Teller wurde am 15. Januar 1908 in Budapest als Sohn des Anwalts Max Teller und Ilona Deutsch geboren. Die Tellers waren wohlhabende, assimilierte Juden, deren Vermögensstand unter der kurzen kommunistischen Herrschaft von Bela Kun nach dem Ersten Weltkrieg zu leiden hatte. Mathematisch begabt, »rechnete« er sich in den Schlaf, indem er Produkte wie »sechzig Sekunden in der Minute ergeben dreitausendsechshundert Sekunden in der Stunde, vierundachtzigtausendsechshundert Sekunden am Tag« ausrechnete. Als Kind war er von den Romanen Jules Vernes begeistert, er war ein begabter Zeichner und besuchte das renommierte Minta-Gymnasium. Obwohl er die Mathematik bevorzugte, studierte er auf Drängen seines Vaters - in Hinblick auf eine praktische Karriere - chemische Ingenieurwissenschaften. An den Universitäten von Budapest und Karlsruhe beschäftigte er sich mit Mathematik und begann sich für die Quantenmechanik zu interessieren. 1928 wechselte er an die Universität München, wo er seinen rechten Fuß bei einem Straßenbahnunfall verlor, was ihn allerdings nicht davon abhielt, 1930 an der Universität Leipzig, wo er bei WERNER HEISENBERG studierte, zu promovieren. 1931 begann Teller an der Universität Göttingen zu lehren, zwei Jahre später wurde ihm schnell bewußt, welche Auswirkungen die nationalsozialistische Machtübernahme haben würde. In seiner Autobiographie schrieb er: »Vor Hitler konnten die Juden hoffen, in Deutschland eine akademische Karriere anzustreben - diese Hoffnung wurde an dem Tag zunichte gemacht, an dem er an die Macht kam.« Mit einem Stipendium der Rockefeller Foundation ging er an die Universität in Kopenhagen, verbrachte kurze Zeit in London und kam 1935 in die USA. Als Physikprofessor an der George Washington University beschäftigte er sich zunächst mit Molekülverhalten. Er teilte mit George Gamow, dem einfallsreichen russischen Physiker, dessen wachsendes Interesse an der Astrophysik und arbeitete mit ihm an den Gesetzmäßigkeiten des Betazerfalls. Aufgrund der revolutionären Entwicklungen in der Physik des 20. Jahrhunderts war es in den 30er Jahren plausibel geworden, nach Erklärungen für die Sonnenenergie zu suchen. 1937 veröffentlichten Teller und Gamow einen Aufsatz über thermonukleare Energie. 1938 war dies das Hauptthema auf der Washingtoner Konferenz für theoretische Physik. Und 1939, nur wenige Tage vor der Washingtoner Konferenz, verkündete NIELS BOHR, daß den deutschen Wissenschaftlern Otto Hahn und Fritz Straßmann die erste Atomspaltung gelungen sei. Welche Bedeutung diesem , Ereignis im damaligen politischen Klima zukam, war vielen Physikern bewußt. Für Edward Teller sollte es für seine gesamte Karriere bestimmend werden. Anfang der 30er Jahre war die Atomspaltung in den Bereich des Möglichen gerückt, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wußte man, daß man mit Hilfe des Uranisotops U-235 eine Kettenreaktion aufrechterhalten konnte, die zur Freisetzung enormer Energie führen würde. Bei der Entwicklung der Atombombe, schreibt William Broad, war Edward Teller »bei jeder wichtigen Weichenstellung dabei.« Er war beim Physiker Leo Szilard, als ALBERT EINSTEIN gebeten wurde, seinen Namen für das Atombombenprojekt herzugeben; darauf trat Teller dem Manhattan Project bei. An der Universität Chicago arbeitete er mit ENRICO FERMI und zog dann nach Los Alamos, wo die Bombe gebaut wurde. Und 1941 schlug Fermi Teller in einem Gespräch vor: »Nun, da die Aussichten, die Atombombe zu 'entwickeln, sehr gut sind, könnte man da nicht durch eine solche Explosion ähnliche Vorgänge in Gang setzen, wie sie in der Sonne ablaufen?« Bei der Kernfusion, der Verschmelzung von Atomkernen, durch die die Sonne und die anderen Sterne ihre Energie erzeugen, wird weit mehr Energie freigesetzt als durch die Kernspaltung. Dies war der erste Vorschlag zum Bau einer Wasserstoffbombe. Und noch während das Atombombenprojekt fortschritt, stellte Teller Überlegungen dazu an. Die Bedeutung von Tellers Anteil an der Atombombe in Los Alamos ist ein heikles Thema. HANS BETHE, der Leiter der theoretischen Abteilung, hatte Teller oftmals als unkooperativ beschrieben; nur zögernd kam er den entscheidenden, aber mühevollen Berechnungen zum Implosionszünder nach - eine Unterstellung, die Teller zurückwies. 1944 entband J. ROBERT OPPENHEIMER Teller von den Implosionsberechnungen, konnte ihn aber dazu überreden, in Los Alamos zu bleiben und eine vorläufige Studie über die Möglichkeiten einer Wasserstoffbombe zu erstellen. Tellers Biographen Stanley A. Blumberg und Louis G. Panos kommen zu dem Schluß: »Auf Teller gehen erstens wichtige Beiträge zum Los-Alamos-Projekt zurück, und zweitens hätte er noch viel mehr beitragen können, wenn er ein Team-Arbeiter gewesen und seine Differenzen mit Bethe und Oppenheimer hätte zurückstellen können.« Nach Daniel Kevles verbrachte Teller »seine Freizeit gerne mit langen Spaziergängen, beharrte darauf, seinem eigenen wissenschaftlichen Dämon, der thermonuklearen Waffe, nachgehen zu können, und fiel seinen Nachbarn auf die Nerven, wenn er zu unmöglichen Nachtstunden auf dem Klavier improvisierte.« Trotz der anfänglichen Skepsis vieler führender Wissenschaftler verfolgte Teller nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Konzept einer Wasserstoffbombe weiter. Nachdem die Sowjetunion 1949 ihre eigene Atombombe besaß,wurde die Aussicht, über eine noch mächtigere Bombe zu verfügen, für die USA zunehmend attraktiver. Tellers Werben für die Bombe basierte ursprünglich auf unzuverlässigen Berechnungen, eine Tatsache, die lange geheimgehalten wurde und jahrelang an Hans Bethe nagte. Teller, wie Bethe schließlich offenbarte, »schlug einige komplizierte Pläne vor von denen kein einziger vielversprechend klang.« Erst durch die Hilfe von Stanislaw Ulam wurde schließlich ein Mechanismus entwickelt, bei dem durch Röntgenstrahlen der Kernbrennstoff entzündet wurde. Im Dezember 1952 fand auf einem Südseeatoll die erste Zündung einer Wasserstoffbombe - sie trug den Namen Mike - statt. Ihre Sprengkraft übertraf alle Erwartungen, und dort, wo sich vorher die Insel Elugelab befunden hatte, war nur noch ein riesiger Krater. Teller, der bei der Detonation nicht anwesend war, schickte ein kodiertes Telegramm, um vom Erfolg zu berichten: »Es ist ein Junge.« Der Fall J. Robert Oppenheimer wurde für Teller zu einem persönlichen Triumph und zur Tragödie zugleich. Teller fürchtete, daß Oppenheimers negative Einschätzung des Wasserstoffbombenprojekts ihren Bau verhindern könne. Bei den Anhörungen der Atomenergiekommssion 1954 sagte er dem Untersuchungskomitee, das sich mit der Frage beschäftigte, ob Oppenheimer ein Sicherheitsrisiko darstelle: »Wenn es eine Frage der Klugheit und des Urteils wäre ... dann würde ich sagen, es wäre klüger, ihm die Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht zu gewähren.« Die Aussage war entscheidend, den hochangesehenen Oppenheimer zu Fall zu bringen, kostete aber Teller auch viele Freunde unter den großen Physikern des Landes. Als Leiter des Lawrence Livermore Laboratory, das dem Berkeley Radiation Laboratory der Universität von Kalifornien angeschlossen war, blieb Teller auch in den nächsten vier Jahrzehnten eine einflußreiche Figur. Er wurde zum bekanntesten Fürsprecher der Wasserstoffbombe, der Atommbombentests und der Raketenentwicklung und hatte großen Anteil am Rüstungswettlauf zwischen der USA und der Sowjetunion. Als Co-Autor war er an Büchern wie Ausblick in das Kernzeitalter (1958) und Das Vermächtnis von Hiroshima (1962) beteiligt und sprach sich häufig und entschieden gegen die Einstellung von Nuklearwaffentests aus. Obwohl der »kalte Krieg« Tellers Ansichten zugute kam, wird ihm oft nachgesagt, daß er die einzigartige Gabe besaß, Politikern zu gefallen. Laut Herbert F. York, »strahlte er eine jungenhafte Begeisterung aus, die in Einklang mit seinem typisch mitteleuropäischen Charme und seinem schüchternen Verhalten Menschen, vor allem aber Politiker und Staatsmänner beeindruckte und für sich einnahm, so daß sie alles glaubten, was er ihnen erzählte« - eine Meinung, die Teller für lächerlich hält. Er umwarb Präsident Dwight D. Eisenhower mit dem Versprechen einer »sauberen« Fusionsbombe, ohne radioaktiven Fall-out, und schien ihn auch zumindest teilweise in die Irre geführt zu haben. Tellers Einflußnahme war auf ein ganz bestimmtes Ziel ausgerichtet. Laut Ray E. Kidder »war Teller von der Drohung besessen, die Sowjetunion könnte die Welt beherrschen. Es fraß ihn in der zweiten Hälfte seines Lebens regelrecht auf. Er wußte, daß er recht hatte, und jeder, der das Ausmaß dieser Bedrohung nicht einsehen konnte, war schlichtweg ein Dummkopf, den man nicht ernst nehmen konnte.« In den 70er Jahren trat er in seinem Buch Energie für ein neues Jahrtausend für die Atomenergie ein. Er zog sogar in Betracht, sich in den US-Senat wählen zu lassen, bevor ihn ein Herzinfarkt zwang, sein Arbeitspensum zurückzuschrauben. Ab 1963 war Teller Professor für Physik in Berkeley, blieb aber stellvertretender Leiter des Lawrence Livermore Laboratory. Nach seiner Pensionierung 1975 wurde er Forschungsmitglied am Hoover Institute an War, Revolution and Peace der Universität Stanford. Als 1980 Ronald Reagan zum Präsidenten gewählt wurde, gewann Teller einen mächtigen Verbündeten, den er von der militärischen Bedrohung durch die Sowjetunionnicht zu überzeugen brauchte. Bei einem Treffen 1982 umriß Teller seine Pläne für ein Raketenabwehrsystem der »dritten Generation«. Anfang 1983 teilte Reagan der Nation mit, daß es an der Zeit sei, mit dem Aufbau eines weltraumgestützten nuklearen Verteidigungssystems zu beginnen. Bald darauf flossen Milliarden von Dollar in das unausgereifte und in manchen Aspekten schlichtweg nicht funktionsfähige Projekt. Die Strategic Defense Initiative (SDI) bestand aus Waffen, die auf der Erde und im Weltraum stationiert werden sollten, darunter hochentwickelte Röntgenstrahllaser und Teilchenstrahlwaffen. Zehn Jahre später wurde der »Star Wars«-Plan eingestellt, nachdem bereits 36 Milliarden Dollar investiert worden waren. Kein einziges funktionsfähiges System war in Dienst gestellt worden. In dem Projekt kommt deutlich Tellers Ansicht zur Funktion der Wissenschaft zum Ausdruck. »Wir würden der Tradition der westlichen Zivilisation untreu werden, wenn wir davor zurückschreckten, nicht auch das zu erkunden, was im Bereich des Möglichen liegt, wenn wir es nicht schaffen sollten, die Herrschaft des Menschen über die Natur auszudehnen«, versicherte er 1987 in seinem Better a Shield Than a Sword Die Überzeugung, daß die Menschheit die Natur sich erobern und sie beherrschen sollte, ist sicherlich ein dominierender Faktor in der Geschichte und scheint, obwohl sicher nicht die einzige wissenschaftliche Sichtweise, die einzige Motivation zu sein, die hinter Edward Tellers Karriere steht. Teller hat mit Augusta Maria Harkyani, kurz Mici genannt, die er 1934 heiratete, zwei Kinder, Paul und Susan. Mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regierungssysteme in Osteuropa Ende der 80er Jahre war es ihm möglich, seine Heimat Ungarn wieder zu besuchen. Er ist emeritierter Direktor des Lawrence Livermore Laboratory und ist nach wie vor Berater für Fragen zur Kernenergie und Verteidigung. |
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