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ERNST MAYR

 
     
  ERNST MAYR und die Evolutionstheorie. Lebensdaten: geb. 1904. Bereits kurz nach Veröffentlichung von Die Entstehung der Arten 1859 wurde CHARLES DARWINS Begriff der Evolution wegen seines Erklärungsgehalts hochgeschätzt. Der Gedanke der natürlichen Auslese sowie die Vorstellung einer gemeinsamen Abstammung von Mensch und Tier allerdings waren Gegenstand kontroverser Diskussionen. Hatten sich die Arten langsam und allmählich über unzählige kleinere Variationen entwickelt, oder ging die Evolution schneller vor sich? Im Grunde fehlte es dem Darwinismus an ausreichendem, Datenmaterial, um eine ädäquate Theorie der Artentwicklung zu liefern. Zur Jahrhundertwende geriet der Darwinismus daher teilweise aus dem Blickfeld der Wissenschaft, und es sollte einige Jahrzehnte dauern, bis er - verändert - eine Renaissance erlebte. Einer der wichtigsten Figuren und Architekt dessen, was oft als »die moderne Synthese« bezeichnet wird, ist Ernst Mayr. Als Ornithologe, Zoologe und Taxonom vereint Mayr in sich fast unerschöpfliches Detailwissen mit einem theoretisch produktiven Verstand. Mayr ist, schreibt John C. Greene, »einer der Begründer des modernen Neo-Darwinismus, der die natürliche Auslese wieder in das Zentrum der Evolutionstheorie gerückt hat.« 1984 beschrieb ihn Stephen Jay Gould als »unseren größten lebenden Evolutionsbiologen.« Ernst Walter Mayr wurde am 5. Juli 1904 - bei der Auswahl seiner Vorfahren ging er »sehr sorgfältig« vor, wie er einmal sagte - als Sohn des Richters Otto Mayr und Helene Pusinelli in Kempten geboren. Er erhielt eine breitgefächerte klassische Bildung und begann sich sehr früh für die Ornithologie zu interessieren. 1923 sichtete er ein Exemplar einer Tafelente, eine Tauchentenart, die über fünfundsiebzig Jahre in Europa nicht mehr gesehen worden war. Die Entdeckung brachte ihn mit dem großen deutschen Ornithologen Erwin Stresemann in Verbindung, der ihn in seinen vogelkundlichen Studien unterstützte. Als Mayr an der Universität Greifswald Medizin studierte, war es Stresemann, der Mayr dazu überredete, am Zoologischen Museum der Universität Berlin zu arbeiten. 1926 erhielt Mayr von dieser Universität Berlin seinen Doktor in Zoologie mit summa cum laude. Von 1926 bis 1932 war Mayr Kurator des Zoologischen Museums der Universität Berlin. 1927 bot ihm Lord Walter Rothschild an, eine ornithologische Expedition nach Holländisch Neu Guinea zu leiten. Für Mayr erfüllte sich damit ein lang gehegter Wunsch; in den nächsten Jahren reiste Mayr dreimal nach Neu Guinea und zu den Solomonen, wo er eine Fülle an Material über die Vogelfauna inden Arfak-, Wandammen- und Cyclopop-Bergen sammelte. Die dritte Expedition wurde dabei vom American Museum of Natural History in New York finanziert, dessen stellvertretender Direktor Mayr 1932 wurde. In den 30er Jahren widmete sich Mayr verstärkt der Taxonomie, der Klassifizierung der Vögel, die er in der Südsee gesammelt hatte. Mayr fand beträchtliche Hinweise, die ihm erlaubten, eine neue, auf genetischen Grundlagen basierende Definition der Arten zu formulieren. Zu Beginn seiner Karriere glaubte eine »nominalistische« Schule in der Biologie, daß »Art« im Grunde nur ein bequemes, auf Körperbau und Gestalt beruhendes Klassifizierungskriterium sei. Aufgrund der von Mayr in Neu Guinea angehäuften Fakten konnte das Konzept der Arten nun nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Wie er später erklärte, hatte er »137 Vogelarten gesammelt. Die Einheimischen besaßen für diese Vögel 136 Namen - sie hatten nur zwei durcheinandergebracht.« In einem 1940 erschienenen Aufsatz schlug er vor, daß Art zu definieren sei als »Gruppe von natürlichen Populationen, die sich tatsächlich oder potentiell untereinander fortpflanzt und die, was die Fortpflanzung anbelangt, von anderen solchen Gruppen isoliert ist.« Damit griff er den Gedanken der geographischen Artbildung auf, der bereits im 19. Jahrhundert geäußert, aber nicht beachtet worden war. Mayrs sorgfältig zusammengestellten Beschreibungen und seine Hypothese zur Artdefinition erschienen 1941 unter dem Titel List of New Guinea Birds, 1942 veröffentlichte er Systematics and the Origin of Species. Durch sein hinreichendes Datenmaterial war es ihm möglich, das grundlegende Szenarium der Entstehung einer neuen Art zu entwerfen. Eine neue Art, so Mayr, bildet sich, wenn aus irgendernem Grund eine Meine Subpopulation von der Elternpopulation physisch getrennt wird. Diese Gründerpopulation besitzt einen eingeschränkten Genpool, durch den sich mit der Zeit charakteristische Verhaltensmuster und körperliche Merkmale ausbilden. Das Ergebnis ist eine neue Art. Durch Mayrs Konzept war es nicht länger notwendig, an zufälligen Mutationen und möglichen »Monstren« festzuhalten. In der Folge differenzierte Mayr zwischen geographischer oder »allopatrischer« Artenbildung, bei der die Gründerpopulation von der Hauptgruppe getrennt wird, und »peripatrischer Artenbildung«, bei der eine kleine Population (sogar ein einziges weibliches Exemplar reicht dafür aus) zufällig über die natürlichen Populationsgrenzen hinauswandert. Peripatrische Artenbildung, die er selbst als seine erfolgreichste Theorie ansah, beschrieb er in seinem 1963 veröffentlichten Animal Species and Evolution. In den drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Mayrs Beitrag zur modernen Synthese der Evolutionsbiologie in weiten Kreisen anerkannt und spiegelt sich in seinem akademischen Aufstieg wider. Ab 1944 war Mayr Direktor der Whitney-Rothschild Collection am American Museum of Natural History. 1953 ging er an die Harvard University und übernahm den Alexander-Agassiz-Lehrstuhl für Zoologie; eine Position, die er bis zu seiner Pensionierung 1975 innehatte. Von 1961 bis 1970 war er dazu noch Direktor des Museum of Comparative Zoology in Harvard. Mayr, ein aggressiver Polemiker, wurde in der amerikanischen Biologie zu einer umstrittenen Gestalt, dessen Rolle manchmal mit Thomas Huxley, der »Bulldogge Darwins«, verglichen wurde. Mayr hat sich ausführlich und sorgfältig für die unterschiedlichen Aspekte der Evolution eingesetzt und in seinem umfassenden, 1982 veröffentlichten Growth of Biological Thought die historische Entwicklung des Faches dargestellt. Zusammen mit THEODOSIUS DOBZHANSKY und GEORGE GAYLORD SIMPSON ist er in der zeitgenössischen Biologie einer der Fürsprecher der »modernen Synthese«. Mayr insistiert auf die Integrität der Biologie und den Respekt vor dem wissenschaftlichen Konsens in Hinblick auf die grundlegenden Beweise für die Evolution -daß trotz Unstimmigkeiten die konkurrierenden Ansichten»nicht die Grundthesen der synthetischen Theorie in Frage stellen; daß sie nur verschiedene Erklärungen für einige Wege geben, die die Evolution eingeschlagen hat.« Für Mayr ist die Biologie eine autonome Wissenschaft, wobei er als Theoretiker die Themenbereiche der Naturgeschichte und der Artentwicklung besonders hervorhebt. Mathematische Thesen zur Populationsgenetik können ihn nicht beeindrucken, und wenn er auch die »streng physiochemische Natur aller Prozesse auf der sogenannten zellularen und molekularen Ebene« akzeptiert, so distanziert er sich von den in weiten Teilen reduktionistischen Aussagen der Molekularbiologie. Zu vermerken gilt Mayrs ikonoklastische Haltung zur Physik. Angesprochen auf FRANCIS CRICKS Hypothese, daß das Leben auf der Erde außerirdischen Ursprungs sein könnte, sagte er nur: »Ach, Francis Crick ist Physiker und denkt wie ein Physiker. Vergessen Sie's einfach! ... Es sind immer die Physiker, die mit solch vollkommen unsinnigen Theorien zur Biologie daherkommen.« Seine Ansichten zur amerikanischen Kultur und dem sozialen und politischen Leben sind zum Teil die eines kultivierten Europäers, pessimistisch und erstaunt. »Die Mehrheit der Bevölkerung ist unglaublich unwissend«, sagte er. »Ich habe in Vororten von New York City gewohnt, wo bei den meisten meiner Nachbarn nicht ein einziges Buch im Haus zu finden war. Schockierend, aber dagegen läßt sich nichts tun, außer unsere Schulen zu verbessern. Ernst Mayr, Autor von über sechshundertfünfzig Aufsätzen und zwanzig Büchern, hat zahlreiche Ehrungen erfahren, darunter die für Leistungen auf dem Gebiet der Wissenschaftsgeschichte vergebene Sarton-Medaille und die National Medal of Science. Margarete Simon, mit der er fünfundfünfzig Jahre lang verheiratet war, starb 1990. John Rennie, der Mayr in seinem neunzigsten Lebensjahr besucht hatte, fand einen »sorgfältig frisierten, grauhaarigen Mann vor, der nicht auf die Hilfe eines Stockes angewiesen ist. Seine Vitalität ist höchstens die eines Achtzigjährigen.«  
 

 

 

 
 
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