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ERWIN SCHRÖDINGER

 
     
  ERWIN SCHRÖDINGER und die Wellenmechanik. Lebensdaten:1887 - 1961. Erwin Schrödinger ist für die Physik und die Biologie des 20. Jahrhunderts von einzigartiger Bedeutung. In der 20er Jahren schuf er eine der beiden Gleichungen, die da Verhalten der Elektronen in der Atomhülle beschreiben Die erste war Heisenbergs Matrizenmechanik, die zweit Schrödingers Wellengleichung, die MAX BORN als ein der »erhabensten« in der gesamten Physik bezeichnete. Wie NIELS BOHR interessierte sich Schrödinger für die philosophischen Folgen der neuen Erkenntnisse in der theoretischen Physik. Er schrieb Was ist Leben ? ein kleines, sicherlich aber eines der einflußreichsten Bücher im 20. Jahrhundert, das eine ganze Reihe von Physikern dazu anregte, sich mit den Grundlagen der Biologie zu befassen. »Jeder las Schrödinger«, schreibt Horace Freeland Judson. »Die Faszination lag in der Klarheit, mit der er sich dem Gen näherte das er nicht als eine algebraische Einheit sah, sondern' als physikalische Substanz, die fast vollkommen stabil ist und dennoch eine immense Vielfalt in sich faßt.« Erwin Schrödinger wurde am 12. August 1887 in Wien als einziges Kind von Rudolf Schrödinger und dessen Frau Georgine geboren. Von seiner Mutter fast angebetet, von seiner Tante verhätschelt, von seinem Vater beeinflußt, durchlebte Schrödinger eine nahezu ideale Kindheit im gehobenen Bürgertum. Rudolf Schrödinger, Besitzer einer Linoleumfabrik, ging seiner Liebhaberei, der Botanik, nach, verfaßte Artikel über Pflanzengenetik und pflegte sein Interesse an italienischer Malerei; seinem Sohn war er »Freund, Lehrer und unermüdlicher Gesprächspartner«. Nachdem Erwin von Privatlehrern unterrichtet wurde, besuchte er ab 1898 das renommierte humanistische Akademische Gymnasium. Er erhielt eine klassische Ausbildung in Literatur und Philosophie und dernte, da seine Tante mütterlicherseits, Minnie, aus Großbritannien stammte, neben Altgriechisch, Latein, Französisch und Spanisch auch fließend Englisch. Auf ihren Spaziergängen durch Innsbruck zwang ihn seine Mutter zur Englisch-Konversation, der er nur zögernd nachkam; erst später, so meinte er, wurde ihm bewußt, wieviel er davon profitierte. 1906, ein Jahr nachdem ALBERT EINSTEIN seine berühmte Artikelreihe veröffentlicht hatte, begann Schrödinger an der Universität in Wien Physik zu studieren. 1910 promovierte er und blieb an der Universität. Während des Ersten Weltkriegs diente er als Artillerieoffizier. Wie bei vielen seiner Generation hinterließ der Krieg tiefe Spuren, er begann sich für Philosophie und indische Weisheitslehren zu interessieren und legte 1925 in Mein Leben, meine Weltsicht seine persönlichen Überzeugungen dar; Schrödinger zeigte eine Neigung zum Geistigen, sprach sich aber gegen jede Religion aus, er war unkonventionell und von Schopenhauer und dessen Pessimismus beeinflußt. Und mehr als jeder andere große Wissenschaftler mit Ausnahme vielleicht von SIGMUND FREUD und ALFRED KINSEY hatte er großes Interesse am Thema der menschlichen Sexualität, die für ihn Mittel zur Transzendenz war. 1921 übernahm er einen Lehrauftrag in Zürich, wo er seine frühere Arbeit über Gase und die Farb und Atomtheorie wieder aufnahm und sich über die Fortschritte in der Quantentheorie auf dem Laufenden hielt. Dort hatten sich mittlerweile große Probleme und Inkonsistenzen angehäuft, seitdem Niels Bohr sie auf das Verhalten von Elektronen anwandte. Einen wichtigen Durchbruch, wie sich herausstellen sollte, erzielte 1924 Louis VICTOR DE BROGLIE, der den Gedanken äußerte, daß sich subatomare Teilchen unter bestimmten Bedingungen wie Wellen verhalten ähnlich wie Einstein dargelegt hatte, daß sich Lichtwellen wie Teilchen verhalten. Für Schrödinger, inspiriert durch ein Seminar, das er über de Broglie hielt, war dies der entscheidende Ausgangspunkt. Mitte der 20er Jahre war er soweit, seinen eigenen wichtigen Beitrag zur Quantentheorie zu leisten. Schrödingers Wellengleichung wurde während der Weihnachtsferien 1925 entwickelt, und es mag nicht ganz uninteressant sein, den privaten Hintergrund darzustellen. Schrödingers Frau hatte in der Zeit eine Affaire, und um sich darüber hinwegzutrösten, ging er mit einer alten Freundin deren Identität nach wie vor ein Rätsel ist in einem Schweizer Skiort eine Liaison ein. Dort ersann er die Grundzüge einer Formel, die, wie er wußte, »sehr schön« sein würde, wenn sie erst einmal gelöst war. Es begann eine Suche, die ein Jahr dauerte und in einer der wichtigsten Differentialgleichungen der mathematischen Physik gipfelte. Schrödinger wandelte dabei de Broglies Hypothese in eine mathematische Formel um; das Elektron betrachtete er dabei nicht mehr als einen Punkt, der verschiedene Aufenthaltsorte um den Atomkern annehmen kann, sondern als stehende Welle, die auf einem bestimmten Energieniveau den Atomkern umspült. 1926 veröffentlichte er sechs Artikel zu seiner Auffassung der Wellenmechanik, deren' Bedeutung sofort erkannt wurde. »Der Einfluß von Schrödingers Wellenmechanik war immens«, schreibt der Wissenschaftshistoriker David Cassidy, »denn ihre Vorteile lagen auf der Hand und ihre grundlegende Bedeutung wurde lautstark verkündet.« Ungefähr zur gleichen Zeit, in der Schrödinger seine Wellengleichung erarbeitete, entwickelte WERNER HEISENBERG die Matrizenmechanik, die ebenfalls das Verhalten der Elementarteilchen beschreibt. Zur Lösung der Probleme, die der »Quantensprung« aufwarf, stellte Heisenbergs Gleichung das Elektron als Ansammlung oder Matrize von Zahlen dar war aber, verglichen mit Schrödingers Gleichung, schwerfälliger zu handhaben. Matrizenmechanik und Schrödingers Wellentheorie sind jedoch, wie u. a. von PAUL DIRAC bald gezeigt wurde, mathematisch äquivalent. Und MAx BORN entwickelte daraufhin ein statistisches Konzept der Wahrscheinlichkeit, das das scheinbar wellenähnliche Verhalten der Elektronen erklärt. Eine neue und dauerhafte Quantentheorie war entstanden. Anders als Niels Bohr, der sehr schnell davon überzeugt war, daß Elementarteilchen nicht vollständig beschrieben werden können, glaubte Schrödinger anfangs noch, daß seine Theorie zu einer umfassenden Erklärung des Atoms führen könnte. Wie Einstein hegte er die Hoffnung, eine einheitliche Theorie finden zu können, in der das Ursache-Wirkung-Prinzip nicht zugunsten statistischer Wahrscheinlichkeiten aufgegeben werden müßte. Bald nach Veröffentlichung seiner Theorie der Wellenmechanik besuchte er in Kopenhagen Bohr und führte mit ihm eine Reihe langer Gespräche über die philosophischen Auswirkungen der Quantentheorie. Er erzählte Bohr, daß, wenn die Vorstellung eines Quantensprungs notwendig sei, es ihm leid täte, sich jemals auf die Quantentheorie eingelassen zu haben. Worauf Bohr antwortete, daß alle anderen aber äußerst dankbar seien, daß er es getan habe; seine Wellenmechanik habe so viel zur mathematischen Klarheit und Einfachheit beigetragen, daß sie einen großen Fortschritt gegenüber allen vorhergehenden Formen der Quantenmechanik darstelle. 1927 ging Schrödinger an die Universität Berlin, wo er den renommierten Lehrstuhl für theoretische Physik übernahm, der durch den in den Ruhestand getretenen MAX PLANCK frei geworden war. 1933, mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, gehörte Schrödinger zu den ersten Wissenschaftlern, die Deutschland verließen. Im selben Jahr wurde ihm zusammen mit dem englischen Physiker Paul Dirac der Nobelpreis für Physik verliehen. 1936, nach drei Jahren am Magdalen College in Oxford, kehrte er nach Österreich zurück und übernahm einen Lehrauftrag an der Universität Graz. Österreichs »Anschluß« 1938 hatte für ihn unmittelbare Folgen; er wurde unter Aufsicht gestellt, schließlich schrieb er eine Art Bekenntnis, in dem er versicherte, den »Willen des Führers« zu unterstützen -wofür er von Kollegen heftig kritisiert wurde und was er später selbst bedauerte. Dennoch wurde er von den Nationalsozialisten seiner Stellung enthoben. Verspätet kam er zu der Überzeugung, daß er im Großdeutschen Reich nicht mehr bleiben konnte. Mit zehn Reichsmark in der Tasche flohen er und seine Frau aus dem Land. Nach kurzen Aufenthalten in Italien und den USA erhielt er eine Einladung nach Dublin zu der von Eamon de Valera kurz zuvor gegründeten School of Theoretical Physics. Schrödinger blieb dort bis 1956. Ab etwa 1935 erlebte Schrödinger, zu einem gewissen Grad vom philosophischen Spätwerk des Astronomen ARTHUR EDDINGTON angeregt, eine »zweite Blütezeit seines Genies«, wie C. W Kilmster schrieb. In dem in Dublin verfaßten Was ist Leben? gibt er eine mögliche Erklärung für die Funktionsweise der Zellen gemäß den Gesetzen der Thermodynamik. Für Schrödinger kontrollieren die Gene den Grad der Entropie oder Unordnung, die sich in jedem System aufbaut; daher seine Ansicht, daß die Grundlage des Lebens durch die chemischen und physikalischen Eigenschaften lebender Organismen vollständig erfaßt werden könne. Was ist Leben?, schreibt Roger Penrose, »ist ein packender Versuch, einige Mysterien des Lebens zu verstehen«; es gehöre »zu den einflußreichsten wissenschaftlichen Werken in diesem Jahrhundert.« Obwohl es in einigen wichtigen Aspekten falsch ist, übte es auf FRANCIS CRICK und JAMES WATSON einigen Einfluß aus und hatte daher in gewisser Weise Anteil an der Entdeckung des DNS-Moleküls. 1956 schließlich kehrte Schrödinger nach Österreich zurück und übernahm einen Lehrstuhl an der Universität Wien. Bald darauf erkrankte er, so daß er in seinen letzten Jahren nur noch wenig arbeitete. Schrödinger war eine bemerkenswerte Persönlichkeit: hochkultiviert, redegewandt, unangepaßt und ein wenig ausschweifend. 1920 heiratete er Annemarie Berthel, eine rücksichtsvolle Frau, die er, laut seinem Biographen Walter Moore, wie ein Haustier behandelte. Obwohl sie anscheinend nicht nur sexuell wenig zusammenpaßten und jeder seinen Affairen nachging, blieben sie zusammen. Erwin Schrödinger starb am 4. Januar 1961, er liegt in Alpach begraben. Schrödinger gehört zu den Wissenschaftlern, deren Werk zu faszinierenden Spekulationen Anlaß gibt, wohin es bezogen auf seinen Einfluß eigentlich gehöre. Es sei daran Kurz vor seinem Tod meinte er, falls er mehr als nur eine kurze autobiographiche Skizze zu schreiben hätte, dann müßte er einen wichtigen Teil weglassen ämlich den, der von seinen Beziehungen zu Frauen handelte. erinnert, daß er seine Wellenmechanik unter der ausdrücklichen Absicht entwickelte, die (unvermeidlichen) »Quantensprünge« zu vermeiden. Philosophisch blieb er der älteren Vorstellung einer allem zugrunde liegenden Realität verhaftet, und der zentrale Gedanke in Was ist Leben? daß Lebewesen sich durch »negative Entropie« auszeichnen wird heute als falsch betrachtet. Mindern diese »Fehler« seinen Einfluß? Die Antwort lautet: nein. Schrödinger stellt nur den Fall dar, wie ein Wissenschaftler aus falschen Gründen dennoch zu fruchtbaren Gedanken kommen kann. Bleibt die Tatsache, daß Schrödingers Wellengleichung einen entscheidenden Schritt in der Quantenmechanik darstellt, daß sie relativ leicht anzuwenden ist und über großen praktischen Nutzen verfügt. Auch an der Bedeutung von Was ist Leben? läßt sich nicht zweifeln. Daß Schrödingers Einfluß noch immer andauert, offenbart nur etwas vom Wesen wissenschaftlichen Fortschritts.  
 

 

 

 
 
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