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LINUS PAULING

 
     
  LINUS PAULING und die Chemie des 20.Jahrhunderts. Lebensdaten: 1901 - 1994. Die besonderen Eigenschaften und Wechselwirkungen chemischer Stoffe - organischer wie anorganischer, natürlicher wie synthetischer - waren von der Chemie des 19. Jahrhunderts nicht adäquat beschrieben worden. Worauf lassen sich die augenfälligen Unterschiede zwischen den Dingen (hart und weich, süß und sauer), ganz zu schweigen von den unzähligen chemischen Reaktionen, die zwischen einer Handvoll Elemente stattfinden können, zurückführen? Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein schwieg sich die Chemie darüber aus. In den 30er Jahren, als man von der mittlerweile ausgereiften Theorie der Quantenmechanik neue Analysemethoden ableitete, begann sich ein neues Bild der chemischen Verbindung abzuzeichnen. Dieser Prozeß kulminierte in der Entwicklung neuer Apparaturen, mit denen man in der Lage war, die Eigenschaften der Elemente zu bestimmen und chemische Reaktionsabläufe vorherzusagen. Das hatte weitreichende Konsequenzen für die Molekularbiologie und die biochemische Deutung des Lebens. Der wichtigste Wissenschaftler in dieser Phase des Wandels war der Amerikaner Linus Pauling. Linus Pauling wurde am 28. Februar 1901 in Oswego im amerikanischen Bundesstaat Oregon als Sohn von Lucy Isabelle Darling und Herman William Pauling geboren. Die Paulings waren eine etwas ungewöhnliche Familie. Eine Tante, Stella »Fingers« Darling, war eine bekannte Safeknackerin, ein anderer von Linus' Verwandten Spiritualist. Herman Pauling, ein Apotheker (der für »Pauling's Pink Pills for Pale People« warb), starb 1910 noch in jungen Jahren an einem Magengeschwür. Kurz zuvor hatte er in einem Leserbrief an das Lokalblatt nachgefragt, wie die außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten seines Sohnes gefördert werden könnten. Nach dem Tod ihres Ehemanns führte Belle Pauling in der Kleinstadt Condon in Oregon eine Pension. Linus, der kein Interesse an der Chemie gezeigt hatte, solange sein Vater noch am Leben war, begann nun im Alter von zwölf Jahren mit Chemikalien zu hantieren, die er sich aus einer stillgelegten Schmelzhütte besorgt hatte. Obwohl Pauling 1917 ohne Abschluß von der Highschool abging - das Zeugnis wurde ihm 1962 nachträglich verliehen, nachdem er seinen zweiten Nobelpreis erhalten hatte -, konnte er sich in das Oregon Agricultural College einschreiben, wo er Chemietechnik studierte. Nachdem er 1922 den Grad eines Bachelors erwarb, setzte er sein Studium am California Institute of Technology fort, das zu dieser Zeit über eine herausragende Chemiefakultät verfügte, der Robert Millikan vorstand - der Physiker, der durch sein einfaches »Öltropfen«Experiment als erster die Ladung eines Elektrons bestimmt hatte. Paulings Interesse am Caltech galt vor allem der physikalischen Chemie. Bald darauf geriet er unter den Einfluß von Roscoe Dickinson, der an einer Methode arbeitete, mittels der ein Jahrzehnt vorher von MAX VON LAUE entdeckten Interferenz und Beugungserscheinungen, die beim Durchgang von Röntgenstrahlen auftreten, den Aufbau komplexer Kristalle zu untersuchen. In Zusammenarbeit mit Dickinson beschrieb Pauling die Struktur des Minerals Molybdänit und veröffentlichte einige Artikel. 1925 erhielt er seine Doktorwürde mit summa cum laude. Die Entwicklung der neuen Quantentheorie Mitte der 20er Jahre schuf ein besseres Verständnis des Atoms und eröffnete auch der Chemie neue Perspektiven. 1926 ging Pauling nach Europa, verbrachte in München einige Zeit mit Arnold Sommerfeld, den er zwei Jahre vorher kennengelernt hatte, traf in Zürich mit ERWIN SCHRÖDINGER zusammen, in Kopenhagen mit NIELS BOHR und in Göttingen mit WERNER HEISENBERG und MAX BORN . Daß er sich mit den wichtigsten Protagonisten der Quantenmechanik traf, war emblematisch für die neue Verbindung, die die Chemie und die Physik eingingen. Als er 1927 ans Caltech zurückkehrte, war er einer der wenigen Chemiker der Zeit, die sich in der Quantentheorie auskannten. 1931 wurde er Professor am Caltech, daneben lehrte er zwischen 1929 und 1934 an der University of California in Berkeley. 1928 ließ er seine frühe Arbeit über Kristalle hinter sich und befaßte sich mit der Anwendung der Quantentheorie auf chemische Verbindungen. Er zeigte, daß die spezifischen Eigenschaften der Atome abhängig sind von ihren Elektronen, so wie sie von der Wellenmechanik interpretiert werden. Er entwickelte eine Reihe von Gesetzen, die das Zustandekommen von chemischen Bindungen systematisierten. Sieht man von ihrer mathematischen Form ab, läßt sich sagen, daß die Gesetze die paarweise Anordnung und den Spin der Elektronen sowie ihren vermutlichen Aufenthaltsort in der Atomhülle beschreiben. Dabei bestimmt die Interaktion der Elektronenschalen die physikalische Reaktionsfähigkeit und im weiteren Sinne auch die den chemischen Elementen zugrunde liegenden Eigenschaften. »Wenn man poetisch sein möchte«, schreiben Ted und Ben Goertzel in ihrer Pauling-Biographie, »dann könnte man sagen. Atome reichen sich gegenseitig die Hand, indem sie die Quanten-Wellen-Funktion ihrer Elektronen in genau der Weise verformen, daß diese sich gegenseitig >fassen< können. Auf diese Weise verbinden sich Atome zu Molekülen, den Grundelementen der Materie.« 1931 erschien im Journal of the American Chemical Society Paulings einflußreichster und bedeutendster Artikel, »Das Wesen der chemischen Verbindung«. Es war der erste von sieben heute als klassisch zu bezeichnenden Artikel, die ei in den frühen 30ern veröffentlichte. Paulings Erkenntnisse blieben nicht unbeachtet; in wissenschaftlichen Kreisen machte er sich durch seine Arbeit einen Namen, die Medien feierten ihn als einen aufstrebenden jungen amerikanischen Wissenschaftler und potentiellen Nobelpreisträger Pauling erwies sich dem Interesse und Medienecho durch. aus gewachsen. Er war ein ausgezeichneter Redner, der seine Theorien anschaulich, bildhaft und gewürzt mit Humor darlegen konnte. 1931, als er nach der Verleihung des Langmuir-Preises die Dankesrede hielt, sprach er fas übergangslos weiter, als zufällig das Licht ausfiel und in Saal plötzlich Dunkelheit herrschte. 1939 veröffentlichte ei die erste Ausgabe von The Nature of the Chemical Bond, eine; Die Atomhülle mit ihren um den Atomkern liegenden Schalen wurde aus de ursprünglichen Vorstellung fester Elektronenbahnen abgeleitet und stellt der [wahrscheinlichen Aufenthaltsort des Elektrons dar. Elektronenbahnen gehören de Jewtonischen Vorstellungswelt an, Hülle und Elektronenschalen der Quanten nd Wellenmechanik.der bedeutendsten Werke über Chemie im 20. Jahrhundert. » 1935«, schrieb Pauling, »... spürte ich, daß ich das Wesen der atomaren Verbindung im wesentlichen vollständig begriffen hatte.« So weitete er seine Forschungen auf komplexere organische Moleküle aus. Bereits 1929, als der Genetiker THOMAS HUNT MORGAN am Caltech eintraf, hatte sich Pauling für Biologie zu interessieren begonnen; nun wurde ihm bewußt, wie wichtig die Chemie zum Verständnis der Lebensprozesse war. Paulings biochemische Forschungen hatten Auswirkungen auf verschiedene Fachbereiche, darunter die Medizin. Seine ersten Studien beinhalteten Versuche, die Struktur des Hämoglobins zu bestimmen, eines Proteins, das für den Sauerstofftransport im Blut und dessen rote Farbe verantwortlich ist. Er hatte damit nicht sofort Erfolg, aber einige Jahre später führten diese Forschungen dazu, daß er die chemische Grundlage der Sichelzellenanämie entdeckte. Es stellte sich heraus, daß diese Krankheit eine molekulare Basis besitzt, nach den Mendelschen Vererbungsgesetzen übertragen wird und eine genetische Adaption darstellt, die den Träger vor der Malaria schützt (was erklärt, warum die Krankheit vor allen in der schwarzen Bevölkerung vorkommt). Paulings Entdeckung der chemischen Grundlagen der Sichelzellenanämie stellte einen Meilenstein in der Biogenetik dar. Er beschäftigte sich daraufhin mit Untersuchungen zu serologischen Reaktionen und der Struktur der AntiKörper und ihrer Beziehung zu eindringenden AntiGenen. Vom damals berühmtesten Forscher auf dem Gebiet der Immunologie, KARL LANDSTEINER, angeregt und ermutigt, entwickelte Pauling eine einflußreiche, wenngleich nicht ganz korrekte Theorie zur Wechselwirkung zwischen Anti-Körpern und Anti-Genen und war 1942 an der Herstellung der ersten synthetischen AntiKörper beteiligt. Paulings einflußreichste Arbeiten in der Biochemie aber waren seine Forschungen zu Proteinen und Aminosäuren, wodurch er die Voraussetzungen für viele spätere Entwicklungen in der Molekularbiologie schuf. Proteine sind in der biologischen Mikrowelt allgegenwärtig, und seit Anfang des 20. Jahrhunderts glaubte man, daß sie den Schlüssel zum Verständnis lebender Organismen darstellen. Wegen ihrer Vielfalt und Komplexität hatten sie lange der Analyse widerstanden. Um Schalenmodelle von Molekülen zu erstellen (deren Daten er durch Röntgenstrahl-Beugung ermittelt hatte), wandte Pauling neben den konventionellen Techniken ein später berühmt gewordenes Verfahren an. 1937 begann er mit diesen Untersuchungen, Ende der 40er Jahre war er soweit, die allgemein geltende Vorstellung über Bord zu werfen, daß lange Molekülketten in den sich wiederholenden Verbindungen eine Art von Symmetrie beachten würden. Er erkannte - ein Sprung in der wissenschaftlichen Vorstellungskraft -, daß die HelixForm »die allgemeine Verbindung zweier asymmetrischer, aber äquivalenter Körper im Raum« sei. Lange Moleküle tendieren zu dieser Form, und mit Robert Corey veröffentlichte Pauling 1950 einen entscheidenden Artikel zu HelixStrukturen. Die Bestimmung der DNS-Struktur, des langen, dünnen Doppelhelix-Moleküls, auf dem die genetischen Informationen abgelegt sind und das die Synthese von Proteinen steuert, ist der wichtigste und bekannteste Durchbruch, der aufgrund von Paulings Ergebnissen erzielt wurde. Vorstellbar ist sogar, daß Pauling selbst zu der Entdeckung gelangt wäre, hätte nicht die US-Regierung eingegriffen. Während Pauling an dem Problem arbeitete, hatte er keinen Zugang zu den neuen, qualitativ besseren Photographien von Röntgenstrahl-Beugungen, die Maurice Wilkins am King's College in Cambridge aufgenommen hatte. 1952 hatte er vor, sie während einer Reise nach England zu betrachten. Wegen seiner liberalen politischen Ansichten weigerte sich jedoch das Außenministerium - auf Anraten des Komitees für Unamerikanische Aktivitäten - ihm seinen Reisepaß zu verlängern. Pauling blieb in den USA. Im Frühjahr 1953 veröffentlichte er einen Artikel, in dem er eine Dreifach-Helix als Modell für die DNS vorschlug. Zwei Monate später schlugen JAMES WATSON und FRANCES CRICK die richtige Doppel-Helix-Struktur vor. Paulings Spätkarriere war zum Großteil von seinen politischen Aktivitäten bestimmt. In den 30er Jahren hatte er Upton Sinclairs bemerkenswerten, aber aussichtslosen Wahlkampf um das Gouverneursamt in Kalifornien' unterstützt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Pauling entschiedener Gegner der Politik des Kalten Krieges und einflußreicher Befürworter der Einstellung aller Atomwaffenversuche. In den 50er Jahren mußte er als angeblicher Linksradikaler Ermittlungen über sich ergehen lassen, die American Legion bezeichnete ihn als einen »Helfershelfer der Kommunisten.« Als er 1963 den Friedensnobelpreis erhielt, nannte ihn die New York Herald Tribune einen »versöhnlich stimmenden Freund des Friedens«. Und während des Vietnam-Kriegs stand Pauling auf der Seite der Neuen Linken und wurde, obwohl alles andere als ein politischer Denker, zu einem ihrer Fürsprecher. Nachdem am Caltech sein zweiter Nobelpreis eher frostig zur Kenntnis genommen wurde, ging Pauling 1963 an das Center for the Study of Democratic Institutions. Ab 1967 arbeitete er an der Universität in San Diego, von 1969 bis 1974, als er in Ruhestand trat, an der Universität Stanford. In den letzten fünfundzwanzig Jahren seines Lebens, etwa ab 1966, wies Pauling verstärkt auf die Bedeutung des Vitamins C zur Vorbeugung bei Erkältungen und anderen Krankheiten hin - von Herpes bis zu Krebs. Es gelang ihm allerdings nicht, überzeugende Beweise für die Wirksamkeit der immensen Dosen zu erbringen, die er und seine Frau jeden Morgen schluckten. Mit dem christlichen Fundamentalisten Arthur Robinson gründete er 1974 das Institute for Orthomolecular Medicine, das mittlerweile zum Linus Pauling Institute of Science and Medicine in Palo Alto, Kalifornien, umbenannt wurde. Paulings Privatleben verlief äußerlich ruhig, aber nicht ohne Konflikte. 1922 heiratete er Ava Helen Miller, eine seiner Studentinnen, mit der er im Laufe einer langen und glücklichen Ehe drei Söhne und eine Tochter hatte. Obwohl selbst Atheist, traten er und seine Frau der unitarischen Kirche bei, da sie, wie er sagte, »Menschen zu Mitgliedern aufnimmt, die an den Versuch glauben, aus der Welt einen besseren Ort zu machen.« Paulings Teilnahme an zwei wissenschaftlichen Studien zur Persönlichkeitsbestimmung durch Rorschach Tests deutet letztlich auf seine eigenen narzistischen Tendenzen, seinen ausgeprägten Ehrgeiz und seine Phantasie hin, aber auch auf Gefühle der Leere. In den letzten Jahren seines Lebens wurde Pauling in weiten Kreisen bewundert. Sein Auftritt in einer Talk Show nach dem Tod seiner Frau trug ihm zahlreiche Trostbriefe vom weiblichen Teil des Publikums ein. 1990 wurde bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert, der später auf den Darm übergriff. Linus Pauling. hatte niemals behauptet, daß ihn seine täglichen zehn Gramm Vitamin C unsterblich machen würden. Er starb am 19. August 1994.  
 

 

 

 
 
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